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Leseförderung

Auf dem Weg zur Lesekultur

Literatur für Kinder – Literatur von Kindern

In Indonesien regen kreative Initiativen von Erwachsenen Kinder zum Lesen an und Kinder schreiben selbst Bücher für Kinder, die in hohen Auflagen erscheinen.

von Gudrun Ingratubun

 

Schulkinder lesen am Strand; Bildquelle: Muhammad Ridwan Alimuddin

Indonesien ist von einer außerordentlichen Sprachenvielfalt geprägt: über 700 Sprachen mit oftmals eigenen Schriften sind im indonesischen Archipel regional verbreitet. 1928 wurde Bahasa Indonesia, eine in lateinischer Schrift geschriebene standardisierte Form des Malaiischen, von der indonesischen Unabhängigkeitsbewegung zur Nationalsprache erklärt. Zuvor hatte das Malaiische als lingua franca entlang der Handelsruten bereits eine gewisse Verbreitung. 1945 wurde Bahasa Indonesia dann Amts- und auch Unterrichtssprache des unabhängigen Staates Indonesien. Viele Indonesier sprechen neben dem Indonesischen eine oder mehrere Regionalsprachen, vor allem die jeweilige Muttersprache.

Internationale Studien zeigen, dass in Indonesien im Vergleich mit anderen Ländern in relativ geringem Umfang Bücher gelesen werden, sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern. Regelmäßiges Lesen in der Freizeit und Lesekompetenz werden als nicht sehr ausgeprägt beschrieben. Doch wie sollen Kinder zu Lesern werden, wenn die Erwachsenen es ihnen kaum vorleben?

Bei Familien, die es sich leisten können, stehen oft Gadgets im Vordergrund, was die Freizeitgestaltung der Kinder angeht. Bücher spielen da eine eher untergeordnete Rolle. In Gegenden fernab der regionalen Zentren sind Kinderbücher überhaupt und insbesondere qualitätsvolle Kinderbücher nur schwer zugänglich. Das erklärte politische Ziel, alle Dörfer mit Gemeinschaftsbibliotheken, taman bacaan masyarakat, auszustatten, hat sich in dem riesigen Land nur ansatzweise verwirklichen lassen.

Bibliotheksinitiativen zu Lande und zu Wasser

Doch gibt es zahlreiche engagierte Bibliotheksinitiativen aus der Zivilgesellschaft. Beeindruckend sind die mobilen Bibliotheken Perahu Pustaka Pattingalloang (Bootsbibliothek), Kuda Pustaka (Pferdebücherei) und Noken Pustaka Papua (Netztaschenbibliothek). So hat der Meeresforscher und Autor Muhammad Ridwan Alimuddin ein traditionelles Mandar Segelboot zu einer Bibliothek umgebaut. Damit fährt er abgelegene Inseln und Fischerdörfer an der Küste West- und Süd-Sulawesis an, um Kindern die Möglichkeit zu geben, direkt auf dem Boot oder am Strand zu lesen. Je nach Budget fährt das schmale Segelboot mit Auslegern auch weitere Ziele an, bis nach Süd-Ost-Sulawesi oder sogar nach Ost-Kalimantan, um auch die sehr abgelegenen Inseln zwischen den großen Inseln Sulawesi und Kalimantan besuchen zu können. So lassen sich viele begeisterte Leser finden.

Muhammad Ridwan Alimuddin bringt mit seiner Bootsbibliothek »Perahu Pustaka« Bücher in Fischerdörfer und zu abgelegenen Inseln, vor allem in West - und Süd-Sulawesis. Er gibt Kindern so die Möglichkeit, direkt auf dem Boot oder am Strand zu lesen.
Bildquelle: Muhammad Ridwan Alimuddin
Die »Bootslektüre« lädt ein zum Schmökern und Wissen vertiefen; Schulmädchen im Küstenort Gonda
Bildquelle: Muhammad Ridwan Alimuddin
Kinder machen sich´s gemütlich, zum Lesen auf der Palme oder einfach im Sand am Strand.
Bildquelle: Muhammad Ridwan Alimuddin
Die Kinder nehmen die Bücher der Bootsbibliothek direkt am Steg in Empfang; Fischerdorf Sumpang Binangae Parepare im Süden Sulawesis
Bildquelle: Muhammad Ridwan Alimuddin
Die Pferdebücherei »Kuda Pustaka« von Ridwan Sururi wird am Gunung Slamet, in Zentral-Java, betrieben. Ridwan bringt Bücher in abgelegene Dörfer; Region Purbalingga, Zentra-Java.
Bildquelle: Ridwan Sururi
Die Gegend um den zweithöchsten Berg Javas, den Gunung Slamet, ist subtropisch, und doch – je nach Höhe - gemäßigt bis kühl und feucht. Die Menschen in den Bergen leben vor allem vom Ackerbau. Bücher sind hier fast ein Luxus.
Bildquelle: Ridwan Sururi
Die Kinder lieben Bücher, haben aber kaum die Möglichkeit welche zu bekommen. Ridwan und sein Pferd werden daher oft schon sehnsüchtig erwartet.
Bildquelle: Ridwan Sururi
Ridwan mit seinem neuen, eigenen Pferd, einer vierjährigen Stute, einem Geschenk aus Deutschland; Region Purbalingga, Zentra-Java.
Bildquelle: Ridwan Sururi
Green-Books fördert die Einrichtung von Ökobibliotheken, »eco-libraries«, bestückt mit Büchern über Flora und Fauna – Anschauungsmaterialien rund um die Natur.
Bildquelle: Gerhard Engelbrecht | green-books.org
Seit 2013 wurden mehr als 60 Öko-Bibliotheken initiiert, im gesamten Archipel.
Bildquelle: green-books.org
Neben der Leseförderung stehen auch Aspekte der Umweltbildung mit auf der Agenda von Green-Books, wie z.B. das Heranführen an Umweltthemen, die Aufklärung über Umweltprobleme und eine nachhaltige Lebensweise.
Bildquelle: green-books.org
Vor allem in ländlichen und abgelegenen Gebieten Indonesiens ist die Informationskultur noch nicht ausgereift und es gibt wenig Zugriff auf Bücher. Hier ist die Freude besonders groß, wenn neue Lektüre eintrifft.
Bildquelle: green-books.org

Die Pferdebücherei wird hingegen am Gunung Slamet, in Zentral-Java, betrieben. Dreimal in der Woche sattelt Ridwan Sururi das Pferd Luna, das ihm allerdings nicht selbst gehört sondern einem Geschäftsmann in Jakarta, belädt es mit Kinderbüchern und zieht los. Durch das Pferd angelockt kommen die Kinder der umliegenden Dörfer zusammen, um zunächst das Pferd zu streicheln. Schnell entwickeln die Kinder aber Interesse an den mitgebrachten Büchern. Sie dürfen sie ausleihen, bis das Bibliothekspferd Luna das nächste Mal vorbeikommt.

Im Hochland von Papua dienen die traditionellen handgeknoteten Netztaschen Noken als Transportmittel für Bücher. In den elastischen Netztaschen haben relativ viele Bücher Platz. So können sie in entlegene Bergdörfer getragen werden, um Kinder zu erreichen, die sonst kaum Zugang zu Büchern haben. Freiwillige lesen den Kindern daraus vor. Viele Kinder lesen auch selbst. Inzwischen sind ungefähr ein gutes Dutzend solcher mobilen Bibliotheken in einem Netzwerk verbunden, in dem sie ihre Erfahrungen austauschen und auch gegenseitig Bücher schicken.

Zudem gibt es Initiativen, die die Gründung von stationären Bibliotheken unterstützen, beispielsweise Taman Bacaan Pelangi (Regenbogenlesegärten) und green-books.org. Taman Bacaan Pelangi baut Bibliotheken mit den verschiedensten Leseförderaktivitäten an abgelegenen Orten auf den östlichen Inseln Indonesiens auf. Inzwischen ist schon die 39. Regenbogenbibliothek und zwar auf Raja Ampat, West-Papua, gegründet worden. Green Books will mit seinen Bibliotheksgründungen die Kinder neben allgemeiner Leseförderung außerdem für Natur und Umweltzusammenhänge sensibilisieren. Alle Bibliotheksinitiativen freuen sich über Unterstützung in Form von Freiwilligen und Geld- oder Buchspenden.

Künstlerische Kinderbücher

Die Künstlerinitiative Masyarakat Indonesia Cipta, vom Kunstrat in Jakarta (Dewan Kesenian Jakarta) ins Leben gerufen, hat sich zum Ziel gesetzt, Kunst, Kultur und Bildung der jungen Generation auf den östlichen Inseln Indonesiens zu fördern. Aus der Kollaboration des javanischen Malers Hanafi und der molukkischen Schriftstellerin Nukila Amal ist das phantasievolle Bilderbuch »Mirah Mini – Hidupmu, Keajaibanmu« (Mirah Mini - Mein Leben, mein Wunder) entstanden, das im Zusammenhang mit Workshopangeboten an Grund- und Religionsschulen, Kindergärten, Gemeinschaftsbibliotheken sowie an mit Kindern arbeitenden Künstlergemeinschaften im Osten Indonesiens verschenkt wird.

Einblicke in das von Hanafi illustrierte Kinderbuch Mirah Mini, und ein Blick auf einige Gemälde im Studio des Künstlers, die für die Buchbebilderung genutzt wurden; alle Bilder: Gudrun Ingratubun

 

Eine der schon am längsten im Bereich Leseförderung existierenden Organisationen ist die Kelompok Pencinta Bacaan Anak (KPBA), die Gesellschaft für die Förderung von Kinderliteratur, von der Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Geschichtenerzählerin Murti Bunanta ins Leben gerufen. Ibu Murti war die erste Indonesierin, die über Kinderliteratur promoviert hat. KPBA veranstaltet regelmäßig Schreibwettbewerbe und vielfältige Storytelling-Events für Kinder und Multiplikatoren. Außerdem betreut die KPBA die von Murti Bunanta verfasste und von unterschiedlichen Illustratoren aufwendig gestaltete Reihe mit Volksmärchen aus den verschiedenen Regionen Indonesiens. Einige der Bände erhielten Auszeichnungen des International Board on Books for Young People. Ein Volksmärchen aus Bengkulu auf Sumatra, »Putri Kemang« (Prinzessin Kemang), ist zur Frankfurter Buchmesse 2015 bei Edition Bracklo in einer sehr schönen Ausgabe auf Deutsch erschienen. Zur Feier des dreißigjährigen Bestehens der KPBA findet im August 2016 in Jakarta ein Internationales Erzählfestival mit Musik und Tanzdarbietungen, Lesungen, Erzählerauftritten, Workshops und einer Illustrationsausstellung statt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Murti Bunanta; Frankfurter Buchmesse 2015; Bildquelle: Jörg Huhmann

 

 

 

Literatur von Kindern

Ganz erstaunliche Verbreitung finden hingegen von Kindern geschriebene Bücher, die von Verlagen in eigenen Reihen herausgegeben und von Erwachsenen professionell illustriert werden. Die oft aus Schreibwettbewerben hervorgegangenen Werke erreichen Auflagen von bis zu 50.000 Exemplaren. Die Verlage bieten auch Workshops und Konferenzen für die schreibbegeisterten Kinder an. So gibt es beispielsweise beim Mizan Verlag die Reihe Kecil Kecil Punya Karya (Literatur von kleinen Leuten) für Kinderautoren und die Reihe Pink Berry Club und Fantasteen für jugendliche Autoren.

Die überwiegende Mehrheit der Kinderbücher ist auf Indonesisch verfasst. Vereinzelt werden auch Kinderbücher in den Regionalsprachen veröffentlicht. Ich denke, dies ist ein wichtiger Schritt, um die Lesekultur tiefer zu verwurzeln. Denn für 80 % der Kinder ist Indonesisch nicht ihre Muttersprache und das Lesen von Geschichten in der Muttersprache (zusätzlich zur Konversation im Alltag), verbunden mit einer größeren inneren Beteiligung, ist wichtig für die Ausbildung der Sprachkompetenz in beiden Sprachen. Bei der großen Anzahl der Sprachen kein leichtes Unterfangen!

 


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