»Hohenheim vs. Tambora«
Was hat die Gründung der Hochschule in Hohenheim mit dem Tambora-Ausbruch zu tun?
Im Schatten des Tambora-Ausbruchs 1815 kam es in den Folgejahren weltweit zu massiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen. Auch das Königreich Württemberg war davon betroffen. In seinem Essay gibt uns der Historiker Prof. Ulrich Fellmeth einen Einblick.
von Prof. Ulrich Fellmeth
Joseph Mallord William Turners, Mt. Vesuvius in Eruption, 1817 , Aquarell, Maße Höhe: 286 mm; Breite: 397 mm; Orig. in Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection; Quelle; Eine originalgetreue fotografische Reproduktion eines zweidimensionalen Kunstwerks, gemeinfrei, Public Domain Mark 1.0 | Weiter unten im Text eine kurze Anmerkung zu dem Werk und dem Kontext in dem es entstanden sein könnte.
Im Jahr 1816 kam es in Südwestdeutschland zu einer verheerenden Missernte. Die Preise für Getreide schossen in die Höhe. Die Lebensmittelpreise lagen zeitweise über dem Vierfachen des Normalen. Hunger, Not und Verbitterung machten sich in der Region breit.
Das Königreich Württemberg und die schicksalshafte Zeit nach 1815
In dieser krisenhaften Situation des Jahres 1816 sah sich das gerade erst auf den württembergischen Thron gekommene Königspaar Wilhelm I. und Catharina Pawlowna zu sofortigen Maßnahmen gedrängt. Wilhelm I. begann die längst überfälligen Reformen in der Landwirtschaft seines Königreiches einzuleiten. Entsprechend der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in Württemberg konnte nur ein nachhaltiges Engagement in der Forschung und eine flächendeckende Intensivierung des Bildungsniveaus der Landwirte Besserung bewirken. Auf dieses Wissen bauend entstand 1817auf Initiative des Königs ein »Landwirtschaftlicher Verein« mit lokalen Vertretungen im ganzen Land, einer Zentralstelle in Stuttgart, und 1818 ein landwirtschaftliches Forschungs- und Bildungsinstitut in Hohenheim, quasi das Vorläuferinstitut der heutigen Universität Hohenheim.
All diese Bemühungen zeigten zunächst nur langsam Wirkung. Erfolge stellten sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, als die Modernisierung in der württembergischen Landwirtschaft zügig voranschritt.
Doch was waren eigentlich die Ursachen für die damalige Not und die nachfolgenden Aktivitäten in Württemberg?
Beim Blick in die Historie und der Suche nach den Gründen wird schnell klar, dass ein sehr kalter und nasser Sommer im Jahr 1816 für die Missernten verantwortlich war. Was die damaligen Zeitgenossen jedoch noch nicht wissen konnten; der Auslöser für die unwirkliche Wetterperiode mit der einhergehenden katastrophalen Situation in der Landwirtschaft war etwa 12.000 Kilometer ostwärts zu suchen: Der Ausbruch des Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbabwa im Jahre 1815. Erst im Jahre 1920 hat der amerikanische Meteorologe William Jackson Humphreys einen Zusammenhang zwischen dem Tambora-Ausbruch und dem »Jahr ohne Sommer 1816« nachgewiesen.
Bei der Eruption des Tambora sind circa 150 km³ Asche, Magma, Gesteinstrümmer und Gase ausgestoßen worden. Die geschätzte Sprengkraft der Eruption hat ungefähr das 170.000 fache der Hiroschima-Bomben betragen. Der zuvor circa 4.300 Meter hohe Vulkan schrumpfte regelrecht auf nur noch 2800 Meter. Es handelte sich um den mit Abstand größten Vulkanausbruch in historischer Zeit.
Aus klimatologischer Sicht sind hier zwei spezielle Faktoren besonders relevant: Beim Tambora-Ausbruch ist eine riesige Menge feinster Asche und Schwefelgase bis in die Stratosphäre (also höher als 15 km) geschleudert worden und in Äquatornähe können diese Verunreinigungen sehr leicht in die globalen Windströmungen gelangen, was eine Verteilung über den gesamten Globus ermöglichte. Diese Schwebeteilchen und Sulfataerosole in der Stratosphäre bewirken für ein bis drei Jahre eine stärkere Absorption und Streuung des Sonnenlichts und allein dadurch eine Abkühlung der Troposphäre. Außerdem können sie als Kondensationskeime für sehr hohe Wolken dienen, was abermals eine Abkühlung der Troposphäre zur Folge hat.
Und tatsächlich kam es 1816 zu einem Sommer, der in vielen Teilen der Welt deutlich zu kalt ausgefiel, fast schon winterlich. Während es in Nordostamerika im Juli zu starken Schneefällen kam, erlebten auch die Menschen in Mittel und Südwesteuropa den Sommer 1816 als deutlich zu kalt. In Nord- und Osteuropa hingegen waren die Sommer 1816 und 1817 lediglich kühl bis normal.
Die Beständigkeit einer Abweichung von teilweise mehr als 3 Grad in Westeuropa hatte erhebliche Folgen für die Gesellschaft; z.B. gab es durch die Verdunklung es mehr Niederschlag – es war deutlich zu kalt und nass; Quelle: Grafik ist gemeinfrei, CC BY-SA 3.0
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War der Ausbruch des Vesuv 79 n.u.Z. die herausragende Katastrophe in der Antike, zeigt die Grafik in etwa das Ausmaß des Tambora-Ausbruchs, der größten Eruption in den letzten 13.000 Jahren; Quelle: Graphik aus Frank Sirocko (Hg.): Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung von der Eiszeit bis ins 21 . Jahrhundert, Darmstadt 2012 (3. Auflage) , S. 177 |
Der Vulkanausbruch und die Hungerkatastrophe in Württemberg – es bleiben Zweifel
Vieles deutet darauf hin, dass der Vulkanausbruch 1815 die Hungerkrise in Württemberg verursachte. Doch es bleiben einige Zweifel und offene Fragen: Es gab ebenso in den Jahren 1805 und 1820/21 vergleichbare schlechte Sommer. Nichts aber ist von flächendeckenden Hungerkrisen bekannt. Und bei näherem Hinsehen muss man feststellen, dass die Sommer 1812 bis 1817 in Mittel- und Südeuropa allesamt deutlich zu kalt und übrigens auch zu nass waren – wenngleich der Sommer 1816 in seiner Strenge herausragte. Der Tambora-Ausbruch hatte ein schon bestehendes Klimaphänomen wahrscheinlich nur verstärkt, nicht jedoch hervorgerufen.
Und warum gab es keine Versorgungsengpässe nach dem ersten zu kalten Sommer 1812 und den damit verbundenen schlechten Ernten? Es scheint vielmehr, dass die Hungerkrise der Jahre 1816/1817 in Württemberg als eine Strukturkrise der württembergischen Landwirtschaft angesehen werden muss. Überdies wurde in den napoleonischen Kriegen die öffentliche Vorratshaltung vernachlässigt, die geringen Vorräte wurden schon 1812 ausgegeben, was dazu führte, dass es in der Hauptkrise keine Reserven mehr gab.
Und obwohl das fast rein agrarisch strukturierte Württemberg seit Beginn des 19. Jahrhunderts ein stetiges Bevölkerungswachstum erlebte, war es zu keinen Vergrößerungen der Agrarfläche und zu keinen qualitativen Verbesserungen in der Landwirtschaft gekommen. Ein Wachsen der Bevölkerung bei gleichbleibender Produktivität der Landwirtschaft führt in Zeiten, da die Länder fast ausschließlich von der inländischen Produktion lebten, ganz zwangsläufig zu Versorgungsengpässen. In einer solchen Situation staut die Abfolge von mehreren schlechten Ernten die Nahrungsmittelknappheit sukzessive an, bis irgendwann der Mangel an Lebensmitteln in eine Hungerkrise kulminiert. Ein besonders kalter Sommer mit besonders schlechten Ernten, wie der von 1816, genügt dann, um die Krise zum Ausbruch zu bringen.
Mit Blick auf die besonderen sozio-ökonomischen Gegebenheiten der damaligen Zeit lässt sich demnach eher folgendes Szenario festhalten: Der Ausbruch des Vulkans Tambora war vermutlich der Anlass nicht aber der tiefere Grund für die notwendigen Agrarreformen in Württemberg, zu denen auch die Gründung der Hochschule in Hohenheim gehörte.
Ansicht des Schlosses Hohenheim, in dem das Landwirtschaftliche Institut untergebracht worden ist, Holzschnitt 1863; Quelle: Archiv der Universität Hohenheim |
200-Jahr-Jubiläum der Uni Hohenheim
Von der Forschungs- und Lehranstalt zur Bekämpfung von Hunger und wirtschaftlicher Not zu ihrer heutigen wissenschaftlichen Arbeit: In ihrem 200-jährigen Jubiläumsjahr 2018 schlägt die Universität Hohenheim in Stuttgart einen Bogen von ihrem Gründungsauftrag bis zu den aktuellen Zukunftsfragen der Menschheit zu Bioökonomie, Welternährung, Klimawandel, Gesundheit, soziale Ungleichheit oder Zukunft der Arbeit.
Grund für die historischen Hungersnöte waren die katastrophale Missernten im »Jahr ohne Sommer« 1817, hervorgerufen durch die Explosion des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815, dessen Aschewolken eine weltweite Klimaveränderung hervorgerufen hatten. Um das Leid zu bekämpfen, gründeten König Wilhelm und Königin Katharina von Württemberg im Jahr 1818 die landwirtschaftliche Lehr- und Versuchsanstalt Hohenheim – Keimzelle der späteren Universität Hohenheim.
Im Jubiläumsjahr 2018 konzentriert sich die Universität Hohenheim auf die bedeutenden Zukunftsfragen der Menschheit, die heute hier bearbeitet werden. »Unseren Gästen werden wir 2018 die gesamte Bandbreite des universitären Lebens und Forschens präsentieren. Themen wie Ernährung und Gesundheit, Klima, Wasser und Ökosysteme, aber auch die Bioökonomie werden dabei ebenso eine Rolle spielen wie die kulturellen Aspekte des Campuslebens« sagt ihr Rektor, Prof. Dr. Stephan Dabbert.
Herausragend sind dabei drei Festveranstaltungen. Sie beginnen mit dem feierlichen Jubiläumsauftakt am 17. Januar 2018. In der schönen Jahreszeit begeht die Universität von 2.-7. Juli 2018 eine Festwoche mit einer besonderen Fülle an Feierlichkeiten und Veranstaltungen. Den Höhepunkt bildet der Festakt mit Ehrenempfang und öffentlicher Lichtshow am Schloss am 20. November 2018, dem Gründungstag der Universität Hohenheim.
Rund 150 Ausstellungen, Veranstaltungen und wissenschaftliche Kongresse für Öffentlichkeit und internationales Fachpublikum gibt es diese Jahr. Dazu gehören innovative Formate wie der Science Pub oder das Café Scientifique oder die Uraufführungen einer Jubiläumssymphonie und einer speziellen Theaterproduktion.
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Anmerkungen der Redaktion
Zum Titelbild von W. M. Turner | Zur damaligen Zeit (1815 und später) fiel die veränderte Atmosphäre auch Künstler wie Turner auf. Turner malte leuchtend rote Himmel, die in ihrer farblichen Abstraktion wie ein Werbeplakat wirkten. Doch weder Turner, noch andere Zeitgenossen wie Capar David Friedrich oder der Forscher Thomas Forster brachten die Himmelsveränderungen in Europa zu der Erkenntnis, dass eine Naturkatastrophe Tausende Kilometer entfernt damit in Zusammenhang stehen könnte; sie hatten kein Wissen darüber.
Turners Mt. Vesuvius in Eruption von 1817 könnte demnach inspiriert worden sein, durch das »was damals in der Luft lag und dort auch zu sehen war« kombiniert mit der imaginierten Nachahmung von verbalen Beschreibungen, die Anfang des 19 Jhdt. durch Reisberichte über »rauchende Vulkane« in Mode gekommen war… und somit letztlich wohl mehr ein Produkt der damaligen populären Kultur der Romantik.
Dazu auch folgender Buchhinweis: Wood, Gillen D´Arcy. 2015. Vulkanwinter 1816 – Die Welt im Schattten des Tambora. Darmstadt: Der Konrad Theiss Verlag