Gundala – Comic- und Filmheld
Gundala – Ein indonesischer Superhelden-Film, der vieles richtig macht
50 Jahre nachdem die indonesische Comic-Heldenfigur »Gundala« zum Leben erweckt wurde, hat der indonesische Regisseur Joko Anwar eine Neuinterpretation des Originals von 1969 für das internationale Filmpublikum geschaffen. Auch in Deutschland lief der Film Anfang 2020 im Rahmen des Fantasy Filmfestes für kurze Zeit.
eine Filmbesprechung von Jan Rathje
Filmstill aus Gundala, ein Film von Joko Anwar; Bildquelle: zur Verfügung gestellt von koch films
Um es vorweg zu nehmen, ich kenne mich in der Filmkultur Indonesiens nicht wirklich aus. Natürlich sind mir als Cineast die Aktion Streifen von Unko Uwei ein Begriff. Gerade The Raid war unglaublich gut erzählt und choreografiert. Erst als Indonesien vor einigen Jahren Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, bekam ich einen ersten Eindruck von der Reichhaltigkeit dieses Landes. Dort sah ich auch Comics, die zu meinem Erstaunen handwerklich auf einem extrem hohen Niveau waren. Als ich die Chance bekam, die Deutschland-Premiere des ersten indonesischen Superheldenfilms, der auf einer Comicvorlage basiert, auf dem Fantasy Filmfest zu sehen, wollte ich mir diesen nicht entgehen lassen. Wie würde er sich von den amerikanischen Konkurrenzprodukten unterscheiden? Wären Geschichte und Erzählweise auch für Menschen verständlich, die in der westlichen Kultur aufgewachsen sind?
Gundala hat mich in vielen Punkten positiv überrascht, auf der anderen Seite wiederum enttäuscht, da es leicht gewesen wäre, den Film mit wenig Aufwand flüssiger und Verständlicher zu erzählen. Aber der Reihe nach…
1969 erschien die Comicvorlage von Harya »Hasmi« Suraminata, die die Grundlage für diesen Film liefert. In Indonesien war und ist die Geschichte bis heute sehr populär. Joko Anwar ein Filmemacher, der sich schon durch die Verfilmung sehr unterschiedlicher Themen hervorgetan hatte, nahm sich der Story an. Sie ist ein Teil des Bumilangit Kino Universums, das plant, viele unterschiedliche Superheldenfilme auf die Leinwand zu bringen. Sozusagen eine Art indonesisches Marvel Universum.
Die Handlung lässt sich leicht zusammenfassen. Allerdings gibt es viele Nebenfiguren und sogenannte »Sideplots«, die eine hohe Komplexität liefern und dem Zuschauer eine gewisse Konzentration abverlangen.
Schon als Kind verliert Sancaka seinen Vater. Als kurz darauf seine Mutter verschwindet, muss er alleine auf der Straße überleben. Erst als ihn ein älterer Junge vor einer Bande Jugendlicher rettet und ihm Kampfkünste beibringt, wird seine Situation erträglicher. Doch auch dieser verschwindet schon bald aus seinem Leben. Erwachsen geworden arbeitet Sancaka bei einem Sicherheitsdienst. Seine Vergangenheit hat ihn gelehrt, sich nur auf sich selbst zu verlassen und bei Gewalt und Ungerechtigkeiten weg zu sehen. Während ein Gangsterboss namens Pengkor immer mehr an Einfluss und Macht gewinnt, nehmen die sozialen Unruhen in der Stadt zu. Eines Tages muss Seneca im Kampf gegen Verbrecher seine Kampfkünste einsetzen. Er verliert diesen Kampf, aber entdeckt dadurch eine geheimnisvolle Kraft. Wenn er von Blitzen getroffen wird, die ihn seit seiner Kindheit bei Unwetter verfolgen, erlangt er übermenschliche Fähigkeiten. Mit der Unterstützung einiger Freunde designt sich ein Superhelden-Kostüm und setzt sich von nun an für die Schwachen und Unterdrückten ein. Er wird nun Gundala genannt. Die Lage in der Stadt beginnt zu eskalieren. Pengkor versezt nun die Reisvorräte im ganzen Land mit einer genmanipulierten Subnstanz. Das Mittel soll bewirken, dass alle schwangeren Frauen Kinder ohne moralisches Gewissen auf die Welt bringen. Doch es gibt anscheinend ein Gegenmittel. Zu seinem Schutz hat der Gangsterboss einige Kämpfer um sich geschart. Kann Gundala ihn und seine Schergen stoppen?
Im Film wird weitgehendst auf Spezialeffekte verzichtet, die meisten Kämpfe werden mit Händen und Füßen ausgetragen. Beleuchtung und Atmosphäre sind durchweg stimmungsvoll. Intensiv wird das Drama des verlassenen Jungen zu Beginn der Handlung geschildert. Es gibt sehr viele Nebenfiguren, die alle gut ausgearbeitet sind.
Abimana Aryasatya spielt den Erwachsenen Seneca. Man sieht dem Schauspieler sein Alter von fast 40 Jahren an. Mich irritierte zunächst, dass er erst so spät seine Kräfte entdeckt. Ich hätte in der Rolle eher einen jüngeren Schauspieler erwartet. Mit seiner schlaksigen Physiognomie schien er in meinen Augen auch nicht der geeignete Kandidat für intensive Zweikämpfe zu sein. Allerdings wurde ich durch seine soliden Kampfkunstfähigkeiten überrascht. Zwar kommen diese nicht annähernd an die Choreografie und Bewegungsabläufe von den The Raid- Filmen heran, auf der anderen Seite wirkten sie nie ungekonnt oder gar lächerlich. Auch sein Schauspiel überzeugte mich, genauso wie das der meisten anderen Schauspieler. Einen überzeugenden und gleichzeitig überzogenen Gegenspieler zu finden, ist in einer Comic-Verfilmung nicht leicht. Bront Palarae spielt Pengkor jedoch brillant. Man entwickelt durch Rückblenden auf seine Vergangenheit sogar fast Verständnis für seine Motivation. Diese genmanipulierte Substanz, die die Moral absterben lässt, wirkt auf mehreren Ebenen auf mich nicht stimmig. Wahrscheinlich, weil ich als jemand aus einer anderen Kultur kommend den Begriff auch anders definiere.
Die große Frage bleibt jedoch, warum der Film, trotz seiner gelungenen Zutaten nicht ganz zu überzeugen weiß. Es ist der Rhythmus. Sancakas traumatische Kindheit zieht sich fast über die Hälfte der Geschichte. Die Szenen sind dramatisch und intensiv, doch eine Kürzung auf die Hälfte der Zeit gäbe dem Film ein stimmigeres Tempo. Im Gegensatz dazu wirkt das Ende unverhältnismäßig gekürzt. Die wirklich spannenden feindlichen Superhelden werden nur kurz eingeführt, um danach nur einen winzigen Auftritt zu haben. In ihren Kämpfen gegen Gundala, wird durch Zwischenschnitte der Handlungsfluß unterbrochen, kurz darauf befindet sich der Held in der nächsten Auseinandersetzung, ohne dass der vorherige Kampf einen Abschluss findet. Eine sehr unbefriedigende Situation. Ich hatte gerne mehr über diese Kämpfer erfahren, im Gegenzug hätte man andere Nebenfiguren, die in ihrer Masse eher verwirren, als zu der Story etwas beizutragen, gerne kürzen können.
Es ist schwer einzuschätzen, ob der Handlungsverlauf erst im Schnitt so gewichtet wurde. Für den zweiten Teil, der in der Story schon vorbereitet wurde, würde ich mir auf jeden Fall ein anderes Tempo wünschen. Nichtsdestotrotz bleibt mir das Gesamtwerk größtenteils positiv in Erinnerung und ich bin gespannt, welche Superhelden demnächst noch aus Indonesien kommen werden.
Über den Autor | Jan Rathje Er arbeitet als Illustrator und Medienpädagoge. Rahtje war an der Entwicklung von über 60 Computerspielen beteiligt und zeichnet für verschiedene Kindermedien. Neben Vorträgen und Fachtagen leitet er regelmäßig Workshops, in denen er Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beibringt, wie man Medien kreativ nutzt. Sein Interesse an der fernöstlichen Kultur wurde schon als Jugendlicher durch verschiedene Kampfkünste geweckt. Nach einigen Reisen und Arbeitsaufenthalten in Ostasien, versucht er einmal im Jahr in Tokio zu sein, um sich von der Kultur inspirieren zu lassen. |
Einige Szenenfotos aus dem Superheldenfilm »Gundala« von Joko Anwar.
Randnotizen | Gundala und Ki Ageng Selo
Die indonesische Superhelden-Welt ist groß und besteht aus über 300 Helden und über 100 Comic-Titeln. Nur den wirklichen Liebhabern und Fans ist diese Welt bekannt. In diesem breiten Comic-Universum ist »Gundala« ein sehr beliebter Charakter. Es lässt sich durchaus sagen, dass er in Indonesien eine Art Kultstatus erlangt hat.
Die Figur des »Gundala Putra Petir« (Son of the Lightening / Sohn des Blitzes) wurde 1969 von dem sehr beliebten und bereits 2016 verstorbenen Comiczeichner Harya »Hasmi« Suraminata geschaffen. Es entwickelte sich eine erfolgreiche Comicbuch-Serie. Bis 1982 wurden 23 Bände veröffentlicht.
In der indonesischen Art des Erzählens – ob mündlich oder schriftlich – kommt es sehr häufig vor, dass »modernes stotytelling« eine Verbinding mit klassichen Themen lokaler Mythen eingeht. Die Kreation von Gundala ist von Ki Ageng Selo inspiriert, einer spirituellen Figur aus der lokalen. javanischen Mytghologie. Der Name Gundala selbst kommt vom javanischen Wort »Gundolo«, was Blitz bedeutet.
Laut M. Soetardi Soeryohoedoyo im Buch Pepali Ki Ageng Selo, gilt Ki Ageng Selo als Nachkomme des letzten hindu-buddhistischen Königs der Majapahit Ära und lebte im 16. Jahrhundert im Königreich Demak. Es heisst auch er sei der Vorfahr von Panembahan Senapati, dem Gründer des islamischen Mataram-Königreichs.
Ki Ageng Selo war aber nicht nur Adliger, sonderen auch Gelehrter. Aus privaten Gründen entschied er sich für ein einfaches Dasein. Ki Ageng Selo zog sich in die Gegend um Purwodadi (in Zentraljava) zurück, in das nach ihm benannte Dorf Selo, wo er sich in religiöse und philosophische Studien vertiefte. Dort verstarb er auch und wurde begraben. Noch heute gilt dieser Ort vielen als Wallfahrtsstätte.
Der Legende nach hatte Ki Ageng Selo außergewöhnliche Kräfte. Er galt als jemand, »der den Blitz besiegen konnte«. Noch heute ranken sich Mythen um diese legendenhafte Person und seine »magischen Fähigleiten«. Weitere Infos finden sich auch in einem längeren Artikel unter berziarah-ke-makam-ki-ageng-selo-menyusuri-jejak-sang-penangkap-petir.
2018 wurde Ki Ageng Selo sogar Teil eines Langfilms. Unter der Regie des indonesischen Regisseurs Kuntz Agus entstand Lightning Catching Adventure (Petualangan Menangkap Petir) von fourcolurs films. Auch Abimana Aryasatya, der schon im aktuellen Gundala-Film von Joko Anwar die Rollen von Sancaka / Gundala spielt, ist Part dieses Films – als Schaupieler und Produzent. Dieser Film ist aber kein Biopic, sondern ein Kinderfilm! Die Ein-Satz-Synopsis: Eine Gruppe von Kindern hat die Absicht einen Flm über die lokale Legende Ki Ageng Selo zu drehen, der angeblich der einzige Mann war, der jemals einen Blitz gezähmt hat.
Laut Aryasatya geht es im Film »um Menschen, die besser die Kontrolle über Technologie übernehmen sollten, anstatt von dieser kontrolliert zu werden«. Aber auch das Einbinden der Ki Ageng Selo-Geschichte entspricht einer ganz bestimmten Absicht. In einem zurückliegenden Interview sagte Regiesseur Agus, »Kinder beginnen, lokale Märchen zu vergessen, und Ki Ageng Selo ist hier beispielgebend, um sie an diese Legenden zu erinnern.« Wer Interesse an weiteren Filminfos zeigt, die mit dem Gundala-Mythos zusammenhängen, sei auf einen Video, einen weiteren Film und einen aktuellen Aufsatz über indonesiche Superhelden in Comic und Film hingewiesen:
International war Gundala erstmals im September 2019 auf dem bekannten Toronto Filmfestival (TIFF) im Midnight Madness Programm zu sehen. Von der Auslandspremiere existiert ein 22 Minuten-Video, auf Englisch und mit Q&A:
Bereits 1981 wurde ein Film Gundala Putra Petir veröffentlicht, gedreht von Lilik Sudjio und angelehnt an den Hasmi Comic. Der Film mit dem zur damaligen Zeit populären indonesischen Schaupieler Teddy Purba, ist auf YouTube-Gundala-1981 in kompletter Länge und in Originalfassung zu sehen. Der Film wirkt heute wie aus der Zeit gefallen.
Hintergrund eines Anfang 2020 veröffentlichten Aufsatzes von Deswandito Dwi Saptanto und Maya Kurnia Dewi, ist eine Annäherung an die Idee und das Verständnis, indonessiche Superhelden aus dem Comicumfeld in die Filmwelt zu bringen, mit Bezügen zur amerikansicher Superheldenfilmwelt. Die Arbeit erschien unter dem Titel Gundala and Gatotkaca in the concept of modern Indonesian superheroes: Comparative analysis of the Indonesian and American superheroes, In: EduLite Journal of English Education, Literature, and Culture, 5 (1), 136-147. Interessierte können den Aufsatz herunterladen. InMaOn / JH |