Filmbesprechung
»Jingga« – Ein Film über sehbehinderte Jugendliche in Indonesien
Lola Amaria zeigt in ihrem Film, wie vier junge Leute durch die gemeinsame Leidenschaft für Musik zusammengeschweißt werden und trotz Behinderung ihr Leben bewältigen.
von Andreas Kurschat
Präsentation des Spielfilms »Jingga« in Göttingen, hier Regisseurin Lola Amaria und Moderator Anindya Krishna Siddharta während der Diskussion; Bildquelle: Andreas Kurschat
Jingga – der Name eines Jungen, von dem die indonesische Regisseurin Lola Amaria in ihrem gleichnamigen Spielfilm erzählt – ist das indonesische Wort für orange, die Farbe der aufgehenden Sonne. Jingga kann sie nicht mehr sehen, nachdem seine ohnehin schon schwachen Augen durch den brutalen Schlag eines Mitschülers in sein Gesicht vollständig erblindet sind. Die ärztliche Diagnose, die keine Hoffnung auf Besserung zulässt, löst unterschiedliche Reaktionen aus: großen Kummer bei seiner Mutter, empörtes Nicht-wahrhaben-Wollen bei seinem Vater, Lethargie und verzweifelte Wut bei ihm selbst. Das Leben mit einer solchen Behinderung erscheint sinnlos, nicht zuletzt weil es in der indonesischen Gesellschaft kaum Wertschätzung und Entfaltungsmöglichkeiten für jene gibt, die den allgemeinen Normen und Erwartungen nicht entsprechen. An der unkritischen Weiterverbreitung klischeehafter Idealvorstellungen ist Jinggas Vater, der in der Medienbranche arbeitet, nicht ganz unbeteiligt. Doch die Eltern stellen sich der neuen Herausforderung, ihrem Sohn unter den gegebenen Umständen die bestmöglichen Lebenschancen zu eröffnen. Jingga, der in seiner Freizeit am liebsten zu Hause für sich allein Schlagzeug spielt, wechselt auf eine Schule für Sehbehinderte, an der Musik besonders gefördert wird, und findet dort schnell Anschluss an eine Gruppe von Jugendlichen, die ihn als viertes Mitglied in ihre Band aufnehmen. Gemeinsam meistern sie Schwierigkeiten, die sich ihnen in der keineswegs barrierefreien Öffentlichkeit der Millionenstadt Bandung (West-Java) stellen. Jingga erlebt einen menschlichen Zusammenhalt, der schweren Prüfungen standhält, und erfährt mit der Produktion eines ersten Albums seiner Band auch künstlerische Anerkennung.
In Indonesien lief der Anfang 2016 herausgekommene Film »Jingga« nur für kurze Zeit und nur in wenigen Kinos. Zu sehr weicht seine Thematik von den Erwartungen eines Publikums ab, das sich im Kino nicht mit sozialen Problemen auseinandersetzen möchte. Dabei beschränkt sich Regisseurin Lola Amaria, die zusammen mit Gunawan Raharja auch das Drehbuch verfasst hat, in diesem Film nicht darauf, den Finger in eine Wunde zu legen. Vielmehr erzählt sie eine Geschichte, die Mut machen und darüber hinaus am Beispiel von Jinggas neuer Schule konkrete Fördermöglichkeiten aufzeigen will, die weiterentwickelt und noch wesentlich mehr Betroffenen als bisher zugänglich gemacht werden müssten. Vor fünf Jahren hat Indonesien die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 ratifiziert. Um die in dieser internationalen Vereinbarung angestrebte Chancengleichheit herzustellen, bleibt jedoch noch viel zu tun, wie etwa die indonesische Blindenvereinigung PERTUNI in einer Pressemitteilung anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens im Januar 2016 angemahnt hat. In diesem Kontext setzt »Jingga« ein deutliches Zeichen gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen.
Lola Amaria hat sich in unterschiedlichen Funktionen – als Schauspielerin, Regisseurin oder Produzentin – bereits in früheren Filmen wie »Sanubari Jakarta«, »Kisah 3 Titik«“ oder »Inerie« mit der Situation von Menschen auseinandergesetzt, die in der indonesischen Gesellschaft benachteiligt oder ausgegrenzt sind. Für »Jingga« hat sie intensive Recherchen an einer renommierten Schule für Sehbehinderte in Bandung betrieben, um eine auf wahren Biographien basierende Geschichte erzählen zu können. Den möglichen Einwand gegen ihre Entscheidung, eine gut situierte Familie in einer der größten Städte Indonesiens in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen, während die Probleme bei armen Menschen und in entlegenen Regionen doch wesentlich größer sind, weist sie entschieden zurück. Gerade die indonesischen Eliten, die ihrer Verantwortung für die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen noch nicht gerecht werden, möchte Lola Amaria dafür sensibilisieren, dass sie ähnlich wie Jingga auch selbst infolge eines Unfalls betroffen sein könnten. »Viele Menschen in Indonesien fassen eine Behinderung als Fluch auf«, erklärt sie. Betroffene litten darunter, dass sie aus diesem Grund von anderen abgewehrt oder völlig ignoriert würden. Durch solche Haltungen werde der gesellschaftliche und politische Umgang mit dem Thema stark beeinträchtigt. Der Film könnte zu einem Wandel des Bewusstseins beitragen. Durchweg überzeugend gespielt, besticht er besonders in der zweiten Hälfte auch durch die Lebensfreude versprühende Musik, die die vier jugendlichen Darsteller bei den Dreharbeiten selbst eingespielt haben. So zeigt »Jingga« auf unterhaltsame Weise, wie sehr es sich lohnt, im Hinblick auf Behinderungen über den eigenen Schatten zu springen.
Einige Stand- bzw. Szenenfotos, zur Dokumentation des Films »Jingga«, angefertigt während der Dreharbeiten am Set.
Die indonesische Originalfassung des Films ist im Internet auf YouTube zu sehen. Es gibt auch eine Version mit englischen Untertiteln, die bereits unter anderem beim Los Angeles Indonesian Film Festival 2016 gezeigt worden ist.
Auch in Deutschland hat »Jingga» kürzlich seine Premiere gefeiert. Der deutsch-indonesische Verein BUGI – Bildung und Gesundheit für Indonesien e.V. präsentierte den Film im Oktober 2016. Bei den Filmabenden in Bonn, Köln, Hannover, Göttingen und Berlin, die besonders von Studierenden – sowohl aus Deutschland als auch aus Indonesien – besucht wurden, war Regisseurin Lola Amaria selbst anwesend, um mit dem Publikum über den Film und dessen Thematik zu diskutieren. Die Organisation der Veranstaltungsreihe lag in den Händen zweier Studenten aus dem BUGI-Vorstand in Hannover, Anindya Krishna Siddharta und Abdullah Malik Ibrahim, die sich auch die Moderation teilten. Unterstützung erhielten die Organisatoren von Engagement Global und vom Kirchlichen Entwicklungsdienst der ev.-luth. Landeskirchen in Braunschweig und Hannovers (KED) sowie von einigen weiteren Kooperationspartnern.
Andreas Kurschat |