Wir erinnern uns: Kurz-Essay über den »Humboldt von Java«
Franz Wilhelm Junghuhn – Hin- und hergerissen zwischen Ökologie und Ökonomie
Heute fast in Vergessenheit geraten gilt Junghuhn noch immer als einer der bedeutendsten deutschen Forscher des 19. Jahrhunderts. Er war von der javanischen Natur berauscht. Vor allem die Welt der Vulkane prägte sein bewegtes Leben. Schon damals beschäftigten ihn die wichtigen Fragen unserer Zeit: die Sorge um die Umwelt.
von Renate Sternagel
Franz Junghuhn, lithografiert von P. W. M. Trap, ca. 1850, Titelbild aus Licht- und Schattenbilder aus dem Innern von Java. Amsterdam, Günst, 4. Aufl. 1866, Urheber Amsterdam, Günst; Creative Commons Public Domain Mark 1.0
»Java und Junghuhn – zwei Namen, die unzertrennlich sind«, schrieb ein Reisender 1857 an Alexander von Humboldt, und in der Tat, kein anderer Mensch hat die Insel Java und ihre Vulkane besser gekannt, genauer beschrieben und – mehr geliebt, als dieser deutsche Arzt und Naturforscher um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Sein Hauptwerk Java, seine Gestalt, Pflanzendecke und innere Bauart (1850-1854) und die dazu gehörende riesige Karte der Insel (79 x 308 cm), deren Präzision und ästhetische Qualität bis heute Bewunderung erregt, machten ihn für kurze Zeit in dem Land, in dessen kolonialen Diensten er stand, in den Niederlanden, zu einem Star. Doch internationale Anerkennung blieb ihm versagt, vor allem, da seine auf Deutsch und Niederländisch erschienenen Werke weder ins Englische noch ins Französische übersetzt wurden – und leider auch nie ins Indonesische.
Junghuhns große Java-Karte - topografische Version, 1855, Urheber Franz Wilhelm Junghuhn (1809–1864);Creative Commons Public Domain Mark 1.0
Von der armen Kirchenmaus zum »Humboldt von Java«
Junghuhn (1809-1864), in Mansfeld am Südostrand des Harzes geboren, stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Jugend war gekennzeichnet durch eine Abfolge unglücklicher Ereignisse: Abbruch des Medizin-Studiums, Suizidversuch, Wiederaufnahme des Studiums in Berlin Duell, Verurteilung zu jahrelanger Festungshaft auf der Festung Koblenz, Flucht nach Frankreich, Fremdenlegionär in Algerien, um nur die wichtigsten Stationen zu nennen. Erst mit seiner Aufnahme in den niederländischen Kolonialdienst und der Ankunft auf Java begannen sich die Dinge für ihn zum Besseren zu wenden. Die zwölf Jahre seines ersten Aufenthalts im Archipel, 1836 bis 1848, waren die Zeit seiner größten wissenschaftlichen Leistungen. Einen langen Europa-Urlaub nutzte er zu Fertigstellung und Veröffentlichung seines großen, 3-bändigen »Java«-Werks. Danach kehrte er 1855 noch einmal nach Java zurück, wo er bis zu seinem Tod 1864 im westjavanischen Ort Lembang lebte.
Man hat ihn – nach seinem Tod – den »Humboldt von Java« genannt, und er selbst hätte diesen Beinamen sicher als Ritterschlag empfunden. Denn mit seinem großen Vorbild Alexander von Humboldt verband ihn so vieles: die Reiselust, die breite Fächerung seiner Arbeitsgebiete, zu denen neben der Botanik die Geologie, Meteorologie, Mineralogie und Paläontologie gehörten, dazu noch die Obsession des Messens, die Lust am Beobachten und Zeichnen und vor allem die Fähigkeit, aus vielen Einzelheiten ein großes Ganzes, ein wissenschaftlich-literarisches »Naturgemälde« zu schaffen.
Gunung Lamongan 5.7.1838, Farblithografie, nach einer Zeichnung v. Junghuhn; Image code: 37C207M; Quelle: KITLV Leiden, Herkunft: KIT Amsterdam / Schenkung
Pionier der Umweltbewegung
Doch das alles ist mehr als anderthalb Jahrhunderte her, zwischen der Naturwissenschaft von damals und heute liegen Welten, auch zwischen dem Java von 1850 und dem von 2018.Was kann uns an Junghuhn heute noch interessieren, gibt es überhaupt etwas, das ihn mit der Welt verbindet, in der wir leben?
Ja, das gibt es, und es ist eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit: die Sorge um die Umwelt. 1856 schrieb Junghuhn von Java aus an Humboldt, er habe festgestellt, dass sich die Waldungen auf der Insel seit 1847 – also in nur neun Jahren – »merklich gelichtet« hätten. Deshalb seien nun Bäche ausgetrocknet, die von bisher waldbedeckten Bergen herabströmten und die Reisfelder bewässert hätten. Er befürchte, dass durch die »Waldentblößung« die Gegensätze zwischen Regen- und Trockenzeit zunehmen und extreme Wetterlagen die Folge sein würden. Junghuhn sah also schon damals all die Malaisen des Klimawandels, mit denen das inzwischen fast vollständig entwaldete Java heute zu kämpfen hat, vorher: Wassermangel, Überschwemmungen und den Rückgang der lebenswichtigen Reisernten.
Natürlich war ihm klar, wer die Schuld an dieser Waldzerstörung trug – aber darüber schwieg der Forscher, dessen ganze Liebe der »Wildnis«, dem Urwald mit seinen Baumriesen galt, und der den »einförmigen, hässlichen Acker« hasste. Es war nämlich sein Arbeitgeber, die holländische Kolonialregierung, die damals große Waldflächen für Plantagen roden ließ, auf denen profitable Produkte für den Export nach Europa angebaut wurden, Tee, Kaffee, Indigo. Daran Kritik zu äußern, hätte für Junghuhn bedeutet, seinen hochangesehenen Job als Inspektor für naturwissenschaftliche Untersuchungen zu verlieren. Also machte er den Brennholzbedarf der wachsenden einheimischen Bevölkerung für die Entwaldung verantwortlich.
Um den schlimmen Folgen etwas entgegenzuwirken, wollte er wenigstens überall da auf Java, wo es möglich war, mit Nutzhölzern wiederaufforsten lassen. Doch dazu kam es nicht. Er hatte alle Hände voll mit anderen Dingen zu tun. Seine Aufgabe war es in den Jahren seines zweiten Java-Aufenthalts, den aus Südamerika eingeführten (oder richtiger: entwendeten) Cinchona-Baum, aus dessen Rinde das rettende Malariamittel hergestellt wurde, auf Java zu akklimatisieren. Ein Unternehmen, das ihm selbst vor allem Ärger und Misserfolg brachte und erst unter seinem Nachfolger zum Durchbruch kam. Dennoch kennen Indonesier Junghuhn, wenn überhaupt, vor allem als den »Vater des Chinins«.
Für seine Cinchona-Plantagen in West-Java, an den Hängen des Malabar, ließ Junghuhn keine Bäume fällen, sondern legte sie in bestehenden Waldungen an. Es war ein hilfloser Versuch, Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung zu bringen. Er wurde deswegen verhöhnt und angegriffen, und sofort nach seinem Tod begann das große Abholzen.
Haus von Franz Wilhelm Junghuhn in Lembang bei Bandung, ca.1860, Autor: F.W.Junghuhn /; Quelle: KITLV Leiden / Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) |
Experimenteller Cinchona Garten in Lembang (Testgelände), ca. 1860, Autor: F.W.Junghuhn; KITLV Leiden / Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) |
Menschen heute auf Junghuhns Spuren durch Java
Dass Junghuhn gerade eine gewisse »Wiederbelebung« erfährt, zeigt sich an einem großen mehrjährigem Projekt der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) Zürich, das sich jetzt dem Abschluss nähert. Auf Junghuhns Spuren haben Studenten, ihre Lehrer, Fotografen und Künstler bei wiederholten Exkursionen Javas Landschaften und Berge erlebt. Eine daraus entstandene und immer noch erweiterte Wander-Ausstellung »17 Volcanoes«, (bisher in Zürich, Singapur, Montreal und Princeton gezeigt, geplant sind unter anderem als Ausstellungsorte Bandung und Berlin), macht Junghuhns Werk endlich doch noch international bekannt – nach mehr als anderthalb Jahrhunderten.
Mansfeld am Südostrand des Harzes | Heute beherbergt das ehemalige Rektorat der Stadt Mansfeld eine Ausstellung über Franz Wilhelm Junghuhn. Um vorherige Anmeldung in der Tourist-Information wird gebeten.