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Sokola – Alternative Bildungswege

Sokola Rimba – Schule im Urwald

 

Bei den Orang Rimba im Urwaldgebiet Bukit Duabelas in der Provinz Jambi gibt es keine Schulbänke, Tafeln oder Stundenpläne. Die Anthropologin Butet Manurung hat dort mit den Menschen im Dschungel gelebt und eine wegweisende Pädagogik für indigene Völker entwickelt.

von Gudrun Ingratubun

 

 

Kinder lernen in der Sokola Rimba; Bildquelle: Aulia Erlangga

 

»Bildung sollte den Lernenden nicht von seiner Umgebung entfremden, nicht von seinem natürlichen Potential, nicht von seinem Talent. Bildung sollte hingegen das naturgegebene Potential des Lernenden stärken, eine positive Entwicklung ermöglichen, sowohl für den Lernenden selbst als auch für die Gemeinschaft«, schreibt die indonesische Naturfreundin und Anthropologin Butet Manurung, die sich für die Belange der Orang Rimba in Südsumatra einsetzt und in ihrer Arbeit dort eine eigene Pädagogik entwickelt hat.

Butet Manurung, ihre Pädagogik der Empathie und Empowerment

1999 besuchte Butet Manurung das erste Mal Angehörige der Orang Rimba, ein indigenes, nomadisch lebendes Volk im Urwaldgebiet Bukit Duabelas in der Provinz Jambi in Südsumatra. Die Orang Rimba tragen traditionell Lendenschurz, leben in temporären offenen Hütten, ernähren sich von Jagd und Wildpflanzen. Gelegentlich verkaufen sie Harz und Rattan an Leute außerhalb des Waldes. Im Auftrag der Naturschutz-NGO WARSI (Warung Informasi Konversasi) brachte Manurung die Orang Rimba allmählich mit Bildung im engeren Sinne in Kontakt. Zunächst baute sie Schritt für Schritt ein Vertrauensverhältnis auf, indem sie sich auf das Abenteuer einließ, ihre Art, im Einklang mit der Natur zu leben, und ihre Sprache erlernte. So konnten einige Familien ihre Vorbehalte gegenüber Bildung aus der Außenwelt, ihre Angst vor Entfremdung, überwinden. Dabei war die absolute Freiwilligkeit während des Lernprozesses für die freiheitsliebenden Orang Rimba eine Grundvoraussetzung. Mithilfe einer an ihren Rucksack gebundenen Tafel brachte sie dann den ersten begeisterten Schülern zwischen langen Wanderungen zum Honigsammeln und Tierfallenkontrollgängen Lesen, Schreiben und Rechnen bei, oft bis tief in die Nacht hinein. Auch Lerninhalte und Methode passte sie immer wieder den Bedürfnissen ihrer Schüler an, wobei sie ebenfalls die Lieder und Traditionen der Orang Rimba erlernte, indem sie diese aufschrieb. Ein weiteres Argument für die Nützlichkeit des Schreibenkönnens.

Die Orang Rimba werden zunehmend mit großen durch die Außenwelt verursachten Herausforderungen konfrontiert. Durch illegale Abholzung für Holznutzung und Papierindustrie und die Anlage von Gummibaum- und Ölpalmenplantagen verkleinert und verändert sich ihr Lebensraum stetig. 2000 wurde das Waldgebiet unter Naturschutz gestellt, was die kommerziellen Interessen der Außenwelt allerdings kaum zurückdrängen konnte, zusätzlich aber ihre eigene Nutzung des Waldes erschwert. Manurung merkte bald, dass die Kinder zusätzlich zu den Grundfertigkeiten der Bildung noch in anderen Bereichen Unterstützung brauchten, um einerseits ihren Lebensraum Wald zu schützen, aber auch in der modernen Welt ihren Platz zu finden.

Da dies mit WARSIs Zielsetzungen schwer vereinbar war, gründete sie gemeinsam mit anderen engagierten Menschen, die auch schon in der Arbeit bei den Orang Rimba Erfahrungen gesammelt hatten, 2003 eine eigene Bildungsinitiative: Sokola, eine Schule für das Leben – für indigene und marginalisierte Communities ohne Zugang zu formaler Bildung. Lesen und Schreiben zu lernen, ist auch deshalb wichtig, um später Verträge lesen zu können. Rechnen hingegen wird gebraucht, um sich beim Handel nicht übers Ohr hauen zu lassen. Bei Sokola werden die Kinder auch mit ihren Rechten vertraut gemacht und ermutigt sich für diese einzusetzen, beispielsweise den Bau einer Straße durch ihr Waldgebiet zu verhindern. Dies wird dadurch erschwert, dass seitens der sesshaften Bevölkerung starke Vorurteile gegen die Orang Rimba bestehen. Sie gelten als rückständig.

 

Unterricht bei Nacht in der Sokola Rimba; Quelle: Dodhi Rokhdian

Freiwillige und die Gründung weiterer Gemeinschaftsschulen

Sokola arbeitet bewusst mit engagierten Freiwilligen und nicht mit Lehrern, die durch das formale Schulsystem geprägt sind. So konnte die Bildungsinitiative ihre Arbeit auch auf andere benachteiligte Volksgruppen in neun Provinzen Indonesiens ausdehnen, und zwar auf den Inseln Java (temporär nach Naturkatastrophen), Sulawesi, Halmahera, Flores und Papua. Die zukünftigen Lehrer leben zunächst in der Gemeinschaft (live in), lernen deren Muttersprache und entwickeln dann eine angepasste Unterrichtsstrategie. Als Grundhaltung praktizieren und vermitteln die Ehrenamtlichen Bescheidenheit, Vertrauen und Selbstvertrauen, liebevollen Umgang miteinander und kritisches Denken.

So gibt es beispielsweise seit 2005 die Sokola Pesisir in Makassar auf Sulawesi. In dem Stadtviertel, wo sich das kleine community center etabliert hat, lag die Analphabetenrate zu Projektbeginn bei 80% und die Leute lebten traditionell vom Fischfang. Aufgrund eines Landgewinnungsprojektes, das Raum für modernen Luxus schuf, ist dies nun nicht mehr möglich. In der Sokola Pesisr gibt es neben Alphabetisierungslerngruppen, eine Kindergartengruppe, Koranunterricht, aber auch handwerkliche und computergestützte Angebote. Auch die Sokola Pesisir ist von gegenseitiger Solidarität geprägt. Eine Gruppe junger Erwachsener filmt bei Hochzeitsfeiern, um durch die Einnahmen, die Stromkosten für die Sokola Pesisir zu tragen.

2006 wurde auf der abgelegenen Insel Besar, zwei Bootsstunden von Flores entfernt, ein Sokoa-Ableger gegründet. Auch Erwachsene besuchen die Sokola um Lesen und Schreiben zu lernen.

Schüler werden Lehrer

Bei den Orang Rimba geben inzwischen schon die ersten Schüler ihr Wissen an die Kinder anderer Clans weiter. Seit 2005 wird die Urwaldschule immer wieder auch von terre des hommes Deutschland e.V. unterstützt und an der Universität Göttingen entstand 2013 die Doktorarbeit von Stefanie Steinebach zur Lebenssituation der Orang Rimba, mit dem Titel »Der Regenwald ist unser Haus: Die Orang Rimba auf Sumatra zwischen Autonomie und Fremdbestimmung«.

Pädagogisch steht die Initiative der Resonanzpädagogik nahe, die auch in Deutschland im Bereich der alternativen Pädagogik an Bedeutung gewinnt. Der Lehrer gibt Impulse, die von den Schülern aufgenommen werden können. Andererseits gehen die Lehrer auch sehr stark auf die von den Schülern kommenden Impulse und Bedürfnisse ein. Die Erfahrungen von Sokola zeigen, wie wichtig die ehrliche, persönliche Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden ist, die gemeinsamen Erlebnisse, bei denen auch die Orang Rimba Kinder den Lehrern etwas aus ihrer Lebenswelt beibringen. Die Kinder lernen begeistert bis tief in die Nacht hinein, weil eine Resonanz entstanden ist, sie emotional beteiligt sind. Sie wollen lernen, weil sie spüren, dass das zu Lernende für ihr Leben von essentieller Bedeutung ist. So eignen sich die Schüler nach Aussagen der Sokola-Pädagogen neue Themen und Eindrückedoppelt so schnell wie im formalen Schulsystem an.

Butut Manurung hat ihre Erfahrungen 2009 in einem tagebuchartig aufgebauten Buch veröffentlicht. 2012 erschien das Buch mit dem Titel »The Jungle School« in englischer Sprache. Außerdem entstand 2013 unter der Regie des indonesischen Filmemachers Riri Riza der Film »Sokola Rimba«.

 


 

In den letzten Jahren ist ein ganzes Netzwerk an Sokolas in Indonesien entstanden. Hier ein kleiner Einblick:

Unterricht ohne Tafeln und Schulbänke. Kinder lernen in der Sokola Rimba.
Quelle: Aulia Erlangga
Unterricht bei Nacht in der Sokola Rimba.
Quelle: Dodhi Rokhdian
Sokola Pesisir, Buchbinde-Workshop mit der Autorin Gudrun Ingratubun.
Quelle: Sahriah Ingratubun
Sokola Pesisir, Buchbinde-Workshop mit der Autorin Gudrun Ingratubun.
Quelle: Sahriah Ingratubun
Sokola Pesisir, Buchbinde-Workshop mit der Autorin Gudrun Ingratubun.
Quelle: Sahriah Ingratubun
Unterricht in der Sokola Asmat.
Quelle: Aulia Erlangga
Sokola auf der abgelegenen Insel Besar bei Flores.
Quelle: Oceu Apristawijaya
Sokola Kajang, Südsulawesi.
Quelle: Sokola – Literacy for Indigenous Indonesians
Hier bekommt der Begriff »Baumschule« eine ganze neue Bedeutung, Sokola Kajang, Südsulawesi.
Quelle: Sokola – Literacy for Indigenous Indonesians

 

 


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