Dokumentation: Über das Leben der Frauen im Dorf Enggros in West-Papua
»Auf, lasst uns in den Mangrovenwald gehen«
Yulika Anastasia Indrawatis preisgekrönte Dokumentation Tonotwiyat befasst sich mit einem ganz besonderen Wald. Erfahren Sie im Gespräch der Regisseurin mit dem Team vom Haus der Indonesischen Kulturen, mehr über die Entstehung des Films, kulturelle Traditionen und die Herausforderungen für die Frauen aus dem Dorf Enggros.
Interview und Übersetzung aus dem Indonesischen, Haus der Indonesischen Kulturen
Filmstill aus Tonotwiyat (Hutan Perempuan / Wald der Frauen); Quelle: Yulika Anastasia Indrawati / Imaji Papua
Eine kurze Einführung: »Tonotwiyat« (frei übersetzt: Wald der Frauen / Hutan Perempuan) erzählt die Geschichte der Frauen des Dorfes Enggros in West-Papua, die seit Jahrhunderten vom reichhaltigen Angebot des benachbarten Mangrovenwaldes leben. Dort fangen sie gemeinsam Fisch, sammeln Muscheln und andere Meeresfrüchte, wovon sie einen Teil auf dem lokalen Markt verkaufen.
Das Besondere: Wenn die Frauen den Wald betreten, dann ist der Aufenthalt nur Ihnen vorbehalten. Sind sie dort, darf kein Mann den Wald betreten. Doch dieses scheinbar unberührte traditionelle Leben ist bedroht: Der Wald ist in Gefahr! Die Strömung trägt den achtlos ins Meer entsorgten Müll aus der Provinzhauptstadt Jayapura in den Wald der Frauen hinein, wo er sich in den Wurzeln der Mangroven verfängt.
Das Ökosystem ist dadurch empfindlich gestört. Die Verschmutzung wirkt sich auch auf die Meeresfrüchte und den Bestand der natürlichen Ressourcen insgesamt aus. Die Erträge werden immer geringer, wodurch die Existenz der Frauen in Gefahr gerät.
Mit dem mehrfach preisgekrönten Film zeigt die Regisseurin Yulika Anastasia Indrawati den Alltag der Frauen von Enggros und verdeutlicht in starken Bildern deren Verletzlichkeit angesichts der Zerstörung ihres Waldes. »Tonotwiyat«, 2019 erschienen, ist ihr erster unabhängiger Dokumentarfilm.
Die Regisseurin lebt seit vielen Jahren in der Provinz Papua und hat bereits mehrere Artikel über Gesellschaft, Kultur und Umweltthemen Papuas veröffentlicht. Viele Beiträge finden sich auf dem von ihr gegründeten Blog Imaji Papua. Hinter Imaji Papua steckt eine Gruppe von Autor:innen, Fotograf:innen sowie anderen unabhängigen Film -und Medienschaffenden.
Der Dokumentarfilm »Tonotwiyat« (92 min, OmeU) lief im September 2020 in der Filmreihe »CinemaIndonesia«, ein Projekt vom Haus der Indonesischen Kulturen Berlin (HDIK) in Kooperation mit dem Programmkino Babylon Berlin. Der Film hatte mit dieser Vorstellung seine Weltpremiere im Ausland. Der Trailer zum Film auf YouTube unter trailer-tonotwiyat
InMaOn /JH |
Yulika, wie ist es Dir und den Einwohnern des Dorfes Enggros in Zeiten der Corona-Krise ergangen?
Yulika Anastasia Indrawati: Ich mich die ganze Zeit gut gefühlt. Seitdem vor vier Monaten sämtliche Flüge nach Papua gecancelt wurden, befinde ich mich im Haus meiner Eltern in Kutoarjo, in Zentraljava.
Den Frauen im Kampung Enggros geht es auch gut, sie sind gesund. Gott sei Dank geht es ihnen gut, obwohl wir uns inmitten der Covid-19-Pandemie befinden.
Als ich ihnen vor einiger Zeit mitgeteilt habe, dass das Haus der Indonesischen Kulturen in Berlin den Film zeigen möchte, haben sie sich sehr gefreut und sie sind sehr stolz. Sie hoffen sehr, dass Papua, Jayapura, und hier speziell das Dorf Enggros in der Welt bekannter wird.
Du hast den Titel Tonotwiyat für diesen Film ausgewählt, einen Begriff aus der Lokalsprache. Was bedeutet dieser Begriff?
Indrawati: Ja richtig, »Tonotwiyat« ist ein Begriff aus der Sprache der Enggros. Nach Aussage der älteren Dorfbewohner aus Enggros ist die Bedeutung: »Auf lasst uns in den Mangrovenwald gehen«.
Kannst du uns bitte Deinen Bezug zum Thema dieses Films erläutern? Wie bist Du auf diesen Wald und die Protagonisten des Films, besonders Mama Adriana Youwe, gekommen?
Indrawati: Ungefähr ein Jahr bevor wir diesen Film produziert haben, bin ich mit einigen befreundeten Journalistinnen aus Jayapura – wir waren circa zehn Personen –, gemeinsam zum »Wald der Frauen« nach Enggros gefahren. Dort habe ich zum ersten Mal etwas über diesen Wald, das Leben der Frauen dort und über deren Probleme gehört. Lange bevor der Film ausgestrahlt wurde, haben meine Freundinnen in lokalen Medien, besonders in Jayapura, über dieses Thema publiziert. Als uns die Situation im »Wald der Frauen« klar wurde, hat mich das sehr berührt und so reifte die Idee, darüber einen Film zu drehen.
Mama Adriana Youwe habe ich vor etwa einem Jahr kennengelernt, als wir gemeinsam in den »Wald der Frauen« gegangen sind. Seitdem bin ich oft zu Recherchen nach Enggros gekommen. Vor Ort habe ich den Ortsvorsteher aufgesucht und dessen Unterstützung bekommen. Er schlug Mama Adriana Youwe als Protagonistin für meinen Film vor, aber er empfahl auch noch andere Frauen zu kontaktieren, nämlich Mama Lian Youwe Meraudje, Mama Nela Meraudje und Mama Sanyi.
Filmstill aus Tonotwiyat (Hutan Perempuan / Wald der Frauen); Quelle: Yulika Anastasia Indrawati / Imaji Papua
Welche Auswirkungen hat die Umweltverschmutzung im »Wald der Frauen« auf die Dorfgemeinschaft in Enggros, besonders auf die Frauen, die von dem, was sie dort ernten, ihren Lebensunterhalt verdienen müssen?
Indrawati: Der »Wald der Frauen« ist etwas sehr Einzigartiges. Und vielleicht ist der »Wald der Frauen« weltweit einmalig, da es nur Frauen erlaubt ist sich dort aufzuhalten. Natürlich hat Umweltverschmutzung einen Effekt auf das Ökosystem des Waldes. Die Frauen von Enggros bekommen das hautnah mit, wenn sie den Mangrovenwald betreten. So leiden sie etwa unter juckenden Hautausschlägen und sie finden weniger Muscheln als früher. Das sind Auswirkungen, die die Frauen besonders beeinträchtigen.
Hat der Film dabei geholfen, die Aufmerksamkeit von Regierungs– und Nichtregierungsorganisationen und der Gesellschaft auf die Zerstörung des Waldes der Frauen zu lenken? Und hat der Film vielleicht sogar das Ergreifen von Gegenmaßnahmen bewirkt?
Indrawati: In der Tat wurde der »Wald der Frauen« von unserer Vereinigung Komunitas Imaji Papua als Teil einer Umweltkampagne erstellt, mit deren Hilfe wir ein Bewusstsein aufbauen wollen, dass auch kleine Gewohnheiten unsere Umwelt beeinflussen können.
Bei der Premiere des Films im letzten Jahr war auch der Bürgermeister von Jayapura anwesend, Benhur Tommy Mano. Und er hat mit Nachdruck mehr Aufmerksamkeit und das Ergreifen von Maßnahmen für den »Wald der Frauen« in Enggros gefordert. Nach der Premiere wurde der Film dann bei verschiedenen Veranstaltungen von Umweltgruppen gezeigt, und um das Umweltbewusstsein zu fördern, führte man Aktionen durch, wie z.B. ehrenamtliche Säuberungsaktionen im »Wald der Frauen«.
Neben diesen Vereinigungen gibt es noch weitere gesellschaftliche Gruppen, mit denen ich in Kontakt bin und die den Film bereits gezeigt haben. Ich denke wir können durch den Film tiefer in das Thema einsteigen, denn die Zuschauer können den Einfluss der Umweltzerstörung dadurch mit eigenen Augen sehen.
Filmstill aus Tonotwiyat (Hutan Perempuan / Wald der Frauen); Quelle: Yulika Anastasia Indrawati / Imaji Papua
Wer ist Deiner Meinung nach verantwortlich für die Zerstörung des Waldes der Frauen?
Indrawati: Meiner Meinung nach kann jeder an der Zerstörung des Ökosystems im »Wald der Frauen« in Enggros mitverantwortlich sein. Die Stadt Jayapura ist eine sehr belebte Handelsstadt mit einer hohen Bevölkerungsdichte. Sie ist das Zentrum aller Wirtschaftsaktivitäten Papuas. Hier liegen die direkten und indirekten Ursachen für die Umweltprobleme: Im unverantwortlichen Verhalten, z.B. durch die nachlässige Entsorgung von Müll, der dann von der Strömung weggespült wird. Der Abfall erreicht dann über die Bucht von Yotefa, den »Wald der Frauen«.
Wie wurde der Film in Indonesien und im Ausland aufgenommen?
Indrawati: Der Film »Wald der Frauen« wurde in Indonesien gut aufgenommen. Das zeigte sich auf dem letzten Dokumentarfilmfestival, wo der Film die Auszeichnung »besonders erwähnenswert« erhielt. Außerdem wurde »Tonotwiyat« 2019 für den Piala Citra Preis nominiert, so dass ich denke, national hat der Film besondere Aufmerksamkeit erlangt. Mittlerweile haben mich verschiedene Vereinigungen und gesellschaftliche Gruppierungen kontaktiert, die nach Lizenzen für den Film gefragt haben.
Was die Aufnahme des Films im Ausland angeht: Zurzeit liegt der Film verschiedenen Festivals vor, davon haben einige den Film bereits angenommen, andere jedoch nicht. Bisher ist es so, dass das Haus der Indonesischen Kulturen in Berlin die erste Institution ist, die diesen Film als Weltpremiere im Ausland zeigt.
Wie bist Du zum Film gekommen? Hast du eine Ausbildung im Filmbereich gemacht?
Indrawati: Ich habe keine klassische Ausbildung im Filmhandwerk. Das Filmen habe ich als Autodidaktin gelernt. Und warum der Dokumentarfilm? Weil ich dieses Format liebe. Ich mag es Dokumentarfilme zu produzieren. Für mich ist das eine Möglichkeit, Geschichten über Papua zu erzählen und interessante Blickwinkel einzunehmen, die in Beziehung zur lokalen Weisheit und der Kultur von Papua stehen.
Kannst Du uns etwas darüber erzählen, weshalb Du den Film Iriana Joko Widodo, der Frau des indonesischen Präsidenten, gewidmet hast?
Indrawati: Ich bewundere Iriana Joko Widodo sehr, da sie als Ehefrau des Präsidenten sehr warmherzig und bescheiden ist. Zu verschiedenen Anlässen hat sie Präsident Joko Widodo bereits nach Papua begleitet. Ohne Scheu und mit großer Zuneigung geht sie auf die Leute zu, hat Kinder von Papua in den Arm genommen. Vor einiger Zeit kam Präsident Joko Widodo nach Papua, um die »Rote Brücke Hamadi Holtekamp« einzuweihen, die über die Bucht von Yotefa führt. Iriana Joko Widodo begleitete ihn wieder einmal. Und der »Wald der Frauen«, wo ich die Filmarbeiten durchgeführt habe, liegt nicht weit entfernt von der Bucht von Yotefa. Die papuanischen Frauen aus Enggros und ich hoffen sehr, dass sie (Iriana Joko Widodo) auf die Situation im »Wald der Frauen« aufmerksam wird, und dass sie ihnen hilft, den Mangrovenwald zu erhalten, einen Wald der nur für die Frauen da ist.
Filmstill aus Tonotwiyat (Hutan Perempuan / Wald der Frauen); Quelle: Yulika Anastasia Indrawati / Imaji Papua
Wie hoch waren die Kosten und wie lange hat die Produktionszeit gedauert, angefangen von der Idee bis zum fertigen Film?
Indrawati: Der »Wald der Frauen« wurde von einer Gemeinschaft produziert, die das gemeinsame Ziel eint, Kampagnen für den Umweltschutz durchzuführen. Wir haben bei den Arbeiten am Film auf eigene Kapazitäten zurückgegriffen. Auch die Produktion war sehr schlicht, mit einfachen Mitteln und einfacher Technik, die uns nicht zu viel Geld gekostet hat. Angefangen von der Recherche bis hin zur Produktion hat alles umgerechnet ungefähr 2.150 Euro gekostet.
Welchen Rat würdest du den Menschen geben – denen die dort leben aber auch jenen die von weiter entfernt kommen – wenn es um achtlose, aber auch mutwillige Zerstörung solcher Ökosysteme wie den »Wald der Frauen« geht?
Indrawati: Mein Rat und mein Wunsch für die Frauen, die in der Bucht von Youtefa leben: Dieser Wald ist etwas sehr einzigartiges, wo Frauen mehr Autorität besitzen als Männer. Auf jeden Fall benötigt der »Wald der Frauen« mehr Schutz, obwohl in deren traditionellem Rechtssystem der »Wald der Frauen« schon geschützt ist. Wenn man aber den zeitlichen Fortschritt bedenkt, die Geschwindigkeit der Entwicklung sowie die dicht bewohnte und überfüllte Stadt Jayapura, und dazu noch den Aspekt der Kontinuität des Ökosystems im »Wald der Frauen« bedenkt, dann benötigt es weiteren Schutz – sei es in Form einer vom Bürgermeister erlassenen Vorschrift, oder sogar durch Gesetze, die von höherem Rang sind. Mein größter Wunsch ist, dass die Geschichten und lokalen Weisheiten über den »Wald der Frauen« nicht von den Entwicklungen der Zeit geschluckt werden und verloren gehen.
Gerne würden wir mehr über Deine zukünftigen Aktivitäten wissen. Welche Projekte planst Du als nächstes?
Indrawati: Mein nächstes Filmprojekt wird ein Dokumentarfilm über die Probleme von Kaffeebauern in Papua sein, die immer noch unter ziemlich isolierten Bedingungen Landwirtschaft betreiben und großen geographischen Herausforderungen gegenüberstehen. Und diese Bauern kämpfen darum, ihre Produkte auf dem Markt anbieten zu können. Das ist mein nächstes Filmprojekt, für das ich im Moment noch recherchiere.
Hast du zum Schluss noch eine Botschaft für die Zuschauer Deines Films?
Indrawati: Mit dem Film »Wald der Frauen« möchte ich erreichen, dass den Zuschauern klar wird, mit welchen Problemen wir in unserem Umfeld konfrontiert sind. Ich möchte die Zuschauer dazu einladen, zu verstehen, dass Umweltprobleme manchmal nicht für sich alleine stehen, sondern eng mit den Traditionen und Gebräuchen der lokalen Kulturen verknüpft sind. Deshalb wäre es am besten, wenn wir auf der Suche nach Lösungen zur Überwindung der Umweltprobleme traditionelle Weisheiten der lokalen Kulturen mitberücksichtigen.
Filmposter Tonotwiyat (Hutan Perempuan / Wald der Frauen); Quelle: Yulika Anastasia Indrawati / Imaji Papua