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Auf den Spuren Heinrich Zollingers

Aufstieg zum Kraterrand des Vulkans Tambora

 

Anlässlich des 200. Jahrestages der Katastrophe trat der Tambora bei Historikern wie Geologen zuletzt wieder zunehmend ins Zentrum des Interesses. Eine Reportage über die zweitägige Besteigung des noch aktiven Vulkans bringt uns dieser mythologischen Erscheinung ein Stück näher.

von Matthias Stuhlinger

 

Entlang des westlichen Kraterrandes zum Gipfel; Bildquelle: Matthias Stuhlinger

 

 

»Ich läugne nicht, dass auch mich ein erhebendes Gefühl beseligte, als ich, der erste Mensch seit der schrecklichen Erupzion, den Fuss auf den Scheitel des Berges setzte, der in der Geschichte eine so traurige Berühmtheit erlangt hatte. Meine Leute aber waren von unsäglicher Furcht befangen und vertrauten kaum ihren Sinnen; sie wagten sich weder vor- noch rückwärts und flehten mich aufs innigste, ich möchte doch die Berggeister nicht wecken oder gar herausfordern. Der Anblick war aber auch im höchsten Grade erhaben und eindruckweckend«. Heinrich Zollinger

 

Blick vom Gipfel des Tambora über die Caldera; Bildquelle: Matthias Stuhlinger

 

Ein Ort vor unserer Zeit

 

Gut 30 Jahre nachdem der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815 auf den Kleinen Sundainseln zahlreiche Opfer forderte und große Teile der Erde in eine mehrjährige Klimakrise stürzte, stand der Schweizer Pflanzengeograf Heinrich Zollinger mit seinen einheimischen Begleitern als erster Forschungsreisender am Rande des imposanten Kraters. Später schilderte er den Augenblick in seinem Bericht »Besteigung des Vulkanes Tambora auf der Insel Sumbawa und Schilderung der Erupzion im Jahr 1815« mit den oben zitierten Worten.

 

Und heute – unter ganz anderen, geradezu berechenbaren Bedingungen – treten also auch meine Frau Miriam und ich in Begleitung zweier Bergführer die steile letzte Etappe an und sind trotzdem angespannt. Werden die Kräfte reichen? Gibt der meist wolkenverhangene Berg sein beeindruckendes Panorama preis? Und zuallererst: Verwandelt sich die Erde unter uns nicht doch wieder in dieses ausweglose Inferno?

 

Zwei Tage zuvor begleiten uns die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf einem Erkundungsspaziergang durch das kleine Zentrum der 100 Kilometer entfernten Distrikthauptstadt Bima. Von Reiseführern im besten Falle noch als wenig lohnenswerter Zwischenstopp auf dem Weg zu Sumbawas Surfstränden oder zur Nachbarinsel Lombok beschrieben, kann man dem Ort dennoch einen gewissen Charme abgewinnen. Vor den Bergzügen im Hinterland zeichnet sich eine farbenfrohe, jedoch unvollendete Moschee ab. Auf einer Wiese vor dem ehemaligen Sultanspalast versammeln sich Menschen zum morgendlichen Gebet und die am Tage lebhaften Straßen sind noch weitgehend leer. Über eine Kreuzung trabt ein voll besetztes Pferdegespann – auf der »Pferdeinsel« des Archipels nichts Ungewöhnliches – und die Hufeisen auf dem Asphalt hallen in den Straßen wider. Ein Moment wie aus der Zeit gefallen, wie wir ihn in den kommenden Tagen noch häufiger erleben werden.

 

 

Route Sumbawa: Eigene Darstellung in Google Earth Pro; B: Bima; Grüne Linie: Autofahrt von Bima nach Pancasila; Gelbe Linie: Mopedtaxi von Pancasila nach Oi Bura; Gelbes Haus: Gästehaus Oi Bura; Rote Linie: Trekkingpfad; Grünes Zelt: Nachtlager auf circa 2.200m; Orangene Linie: Abfahrt Moped nach Calabai; Blaue Linie: Charterboot nach Sumbawa Besar; S: Sumbawa Besar; Quelle: Matthias Stuhlinger

 

Überraschender Empfang

 

Nach einem einfachen Frühstück im Hotel werden wir von Pak Saiful abgeholt, der uns mit dem Auto den langen Weg in die Siedlung Pancasila am Fuße des Vulkans fahren wird. Die alternative Anreise in oft sehr vollen öffentlichen Bussen wäre zwar günstiger gewesen, hätte unterwegs jedoch einen weiteren Übernachtungsstopp verursacht. Pak Saiful manövriert den Wagen hingegen zügig um die größeren Schlaglöcher und durch einige tiefere Gräben auf der abenteuerlichen Schotterpiste, die wir während der letzten vier Stunden zum Tambora meist entlang der Küste befahren. 

 

Die Folgen der Katastrophe vor zwei Jahrhunderten waren global, sichtbar werden diese abseits der Geschichtsbücher allerdings nur in Eisbohrkernen (Ascherückstände) oder Baumringen (Klimaveränderung). Ganz anders erlebt man es hier auf der über 1.500 Quadratkilometer großen Sanggar-Halbinsel, die vom Tambora dominiert wird. Wir bewegen uns auf einer meterhohen, verfestigten Ascheschicht, die sich im April 1815 innerhalb weniger Tage ablagerte und alles Leben unter sich begrub.

 

Erwartungsvoll nähern wir uns dem ausgedehnten Vulkanmassiv, das sich aus der Ferne aufgrund der einst abgesprengten Gipfelregion eher unspektakulär gibt. Lediglich die jungen Vulkankegel, meist klein, in ihrer Häufung jedoch unübersehbar, zeugen von der Energie, die sich selbst hier viele Kilometer vom Berg entfernt unter der Oberfläche immer wieder aufbaut. Berechnungen ergaben, dass der Schichtvulkan einst über 4.200 Meter hoch gewesen sein musste. Die größte in geschichtlicher Zeit beobachtete Eruption stieß dann 100 bis 160 Kubikkilometer vulkanischen Materials aus, was in etwa dem Hundertfachen des Ausbruchs des Mount St. Helens 1981 entspricht. Heute beträgt die höchste Erhebung nur noch 2.722 Meter und der Krater weißt bei einer Tiefe von 1.300 Metern einen Umfang von 20 Kilometern auf.

 

Route Tambora: Visualisierung der Trekkingroute entlang der Wegmarken Pos1 bis Pos5 zum Gipfel; Quelle: Matthias Stuhlinger / Google Earth visittambora

 

In Pancasila verabschieden wir uns von Pak Saiful und steigen samt Gepäck auf mehrere Moped-Taxis, um den letzten schmalen Abschnitt über einen ausgewaschenen Waldweg zum Nachtlager zu erklimmen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit ist die kleine Siedlung Oi Bura erreicht. Sie liegt auf 690 Metern an den unteren Berghängen und besteht aus einer Lichtung mit wenigen bewohnten Hütten und einem denkmalgeschützten Kolonialgebäude mit drei sehr einfachen Gästezimmern. Das Areal ist von einer kleinen Kaffeeplantage umgeben.

 

Ein halbes Dutzend Männer – teils in Militäruniform – nehmen uns in Empfang. Das leichte Unbehagen verfliegt schnell, als wir um gemeinsame Fotos gebeten werden und die bevorstehende Bergtour grob besprochen wird. Die Tatsache, dass jährlich nur eine Handvoll ausländischer Gäste zum Tambora kommen, erklärt die entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Im Anschluss an eine kurze Erläuterung über die fehlenden Rettungs- und Kommunikationswege am Berg sowie der dezenten Frage nach unseren Blutgruppen (die uns leider nicht bekannt waren), schlendern wir noch ein wenig durch die kühle Abendluft, neugierig beäugt von den Kindern der Siedlung. Unser Gastgeber Masparno Masugung lässt sogar noch ein warmes Abendessen aus Fisch, Gemüse, Reis und hartgekochten Eiern zubereiten, so dass es an nichts fehlt. Wir gehen gestärkt und guten Mutes, aber auch mit einem Anflug von Nervosität, ins Bett. 

 

Bilderstrecke Tambora#1: Eindrücke vom Beginn der Tour

 

Blick über die Stadt Bima am Morgen.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Pferdegespann trabt über eine Kreuzung in Bima.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Spontane Begegnung auf dem Weg zur Tambora-Region
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Mit Baumstämmen beladene Mopeds schlingern uns entgegen.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Am Horizont zeigt sich der Tambora.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Landschaft vulkanischen Ursprungs.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Hinweisschild mit schematischer Darstellung der Trekkingroute im Ort Pancasila mit Zeit- und Höhenangaben. Die Messdaten sind jedoch veraltet..
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Interessierte Kinder am Gästehaus in Oi Bura.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger

 

 


Anmerkungen

 

Heinrich Zollinger: Ein Schweizer Botaniker, der nach dem Tambora-Ausbruch von 1815 als Erster den Aufstieg erneut wagte; hier: zitiert aus dem Expeditionsbericht, S.8, (Besteigung des Vulkans 1847, der Bericht erschien 1855); Quelle: Zollinger, Heinrich, Besteigung des Vulkanes Tambora auf der Insel Sumbawa und Schilderung der Erupzion desselben im Jahr 1815. Winterthur: Wurster, 1855. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 5880, Public Domain Mark

 

Seite 2/ oben weiterlesen  

 

 

Tropische Berghänge im Westen

 

Im Morgengrauen trinken wir noch einen dicken, sehr süßen und damit typisch indonesischen Kaffee und machen uns sodann mit unseren Guides Samsudin und Burhan auf den langen Weg. Tagesziel ist das offene Gelände knapp oberhalb der Baumgrenze auf circa 2.200 Metern. Dort möchten wir die Zelte aufschlagen und ein paar Stunden Ruhe finden, bevor der nächtliche Gipfelaufstieg folgt. Zuvor erwarten uns jedoch noch 15 Kilometer Fußmarsch durch den dichten Regenwald der tiefer gelegenen Hänge. Anfangs überrascht der üppige tropische Wald, der so gar nicht zu den bisherigen Eindrücken Sumbawas passen wollte. Hatten wir doch vor allem ausgedehnte Trockensavannen gesehen. Wir rätseln, ob einige der Baumriesen noch aus der Zeit vor der großen Eruption stammen und staunen über meterhohe Farne. Dabei ist das dichte Grün kaum zu durchdringen. Der Regenwald legt sich wie ein Vorhang um uns, ja verschluckt die Gruppe geradezu.

 

Am Vormittag begleitet uns über weite Strecken das entfernte Dröhnen von Kettensägen. Wir denken an die Mopeds, die uns tags zuvor mit recht stattlichen Baumstämmen quer über dem Gepäckträger entgegen schlingerten. Ansonsten treffen wir an den nächsten beiden Tagen am Berg auf keine Menschenseele. Da sind nur Burhan und unser Chef-Guide Samsudin, den wir zunächst auf kaum 40 Jahre schätzen. Später stellt sich allerdings heraus, dass er bereits über 50 ist und neun Kinder hat. Respektvoll folgen wir seinen Schritten. Er geht voraus und schwingt unermüdlich die Machete. Für unseren Geschmack ein wenig zu dynamisch, da der Handgriff locker sitzt, immer wieder festgezurrt werden muss und wir die lange Klinge vor unserem inneren Auge ein ums andere Mal auf uns zufliegen sehen.

 

Jetzt, Anfang September, sind die Trekking-Bedingungen ideal. Wir befinden uns am Ende der Trockenzeit, so dass die sonst üblichen, ergiebigen Regenfälle unwahrscheinlich, weggeschwemmte Pfade und matschiger Untergrund nicht zu erwarten sind. Froh sind wir über die nun seltener anzutreffenden Blutegel und die deutlich geringere Malariagefahr als in den regenreichen Monaten.

 

Tamboras heimtückischstes Hindernis

 

Die Verständigung mit unseren Begleitern klappt indes nicht immer reibungslos, da hier nur wenige Menschen Englisch sprechen (unsere Guides gehören nicht dazu) und unser Bahasa gerade mal für Smalltalk reicht. Um Fragen zur Zeitplanung aus unseren Vorabrecherchen zu verdeutlichen, behelfen wir uns bisweilen mit einfachen Notizbuch-Zeichnungen. Beim nächsten Austausch erweisen sich dann wiederum einige herausgerissene Wörterbuchseiten aus unserem Reiseführer als äußerst wertvoll. Speziell in den Pausen entwickelt sich durch die improvisierte Unterhaltung eine recht vergnügte Stimmung.

 

Um die Mittagszeit müssen wir dennoch feststellen, dass es bei der Trinkwasserplanung ein Missverständnis gab. Kurzum, wir sind von da an auf die wenigen natürlichen Quellen am Berg angewiesen. Zum Ende der Trockenzeit hat man sich diese im dichten Wald allerdings als wenig appetitliche Rinnsale vorzustellen: gelb, schwefelig und definitiv nicht geschmacksneutral. Mangels Filter und Desinfektionstabletten bejubeln wir den Gaskocher in Burhans Rucksack, der neben dem Abkochen des Wassers auch beim Aufwärmen der vorbereiteten Mahlzeiten zum Einsatz kommt. Mit Reis, Hühnchen, Fisch und Gemüse werden wir den Umständen entsprechend geradezu verwöhnt - und Samsudin lässt es sich im Dunst der ersten Zigarette seit einiger Zeit sichtlich gut gehen.

 

Nicht gerechnet haben wir mit den weit mehr als hundert umgestürzten, teils riesigen Baumstämmen, die wir über den Tag hinweg überwinden müssen. Mal nur mit großem Schritt, dann wieder kletternd, balancierend, auf allen Vieren oder gar auf dem Bauch robbend. Auf alle Fälle aber mit nachlassender Motivation. Hinzu kommt die besorgte Ankündigung Samudins, uns erwarte am Nachmittag noch ein Balanceakt über die »Jalan Jelatang«. Was meinte er damit? »Straße oder Weg der Brennnesseln«? Das klang interessant, zunächst aber nicht sonderlich beunruhigend.

 

Die Route entpuppte sich jedoch als mächtiger Baumstamm, der über 30 Meter hinweg quer in einem Wald aus meterhohen tropischen Brennnesseln lag und die einzige Möglichkeit darstellte, den Weg fortzusetzen. »Die leichteste Berührung verursache tagelang stärkste Schmerzen und den sicheren Abbruch des Unterfangens«, warnt Samsudin. Wir folgen seinem Rat und packen uns sicherheitshalber in langärmlige Regenschutzkleidung. Schritt für Schritt bezwingen wir das Hindernis, müssen die Konzentration jedoch hochhalten, da die respekteinflößenden Pflanzen mit ihren zentimeterlangen Brennhaaren auch in den kommenden zwei Stunden immer wieder entlang des Pfades warten.

 

Zunehmende Zweifel angesichts der Erschöpfung 

 

Zehn Stunden nach unserem Aufbruch treten wir aus dem letzten Kasuarinenhain hinaus in eine baumlose Graslandschaft, die unvermittelt und erstmals am heutigen Tage einen wunderschönen Rundblick bietet. Vor uns erhebt sich die bedrohliche schwarze Gipfelregion, die es in der kommenden Nacht im Schein der Stirnlampen zu erklimmen gilt. Und im Rücken liegt ein Meer aus Wolken. Die tief stehende Sonne lässt an manchen Stellen die funkelnde Balisee aufblitzen und in über 150 Kilometern Entfernung ragt mit dem Gunung Rinjani, auf der Insel Lombok, die beeindruckendste Erhebung des indonesischen Feuergürtels in den Abendhimmel. Eilig kümmern wir uns um den Zeltaufbau und ein kleines Feuer für das Abendessen.

 

Schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit legen wir uns auf die einfachen Zeltmatten und stellen den Wecker auf drei Uhr morgens. Die Erschöpfung lässt uns anfangs gut schlafen. Leider ist bald jeder Stein auf dem unbedacht ausgewählten Untergrund zu spüren und auch wegen der nächtlichen Kälte machen wir selbst hier nahe dem Äquator in der Folge kein Auge mehr zu.

 

Was treibt uns bloß in diesen entlegenen Winkel der Erde? In dieser schlaflosen Nacht kommen die Zweifel aus der Planungsphase zurück und die Gedanken kreisen erneut um die Sinnhaftigkeit der Tour. Die erste Idee hierzu entstand durch den Wunsch, die sonst zweitägige Überland-Reise von Komodo nach Bali mit einem längeren Zwischenstopp aufzuwerten. Unsere Faszination für Vulkane kam hierbei sehr gelegen. Gleichwohl fiel die Entscheidung zu dieser mehrtägigen Expedition schwer, da sie bis heute kein Anbieter für Abenteuerreisen in seinem Programm führt. So lernten wir das meiste aus vereinzelten Erfahrungsberichten im Internet, denen wir auch die Kontaktdaten von Rik Stoetman entnahmen. Er lebt seit vielen Jahren auf Bali und Sumbawa, ist gut vernetzt und half uns bei der Organisation von Transporten, Unterkünften und erfahrenen Bergführern.

 

Besonderen Reiz erhielt die Tour schließlich durch einen unverhofft persönlichen Bezugspunkt. Bei Recherchen entdeckten Miriam und ich, dass die Gründung der Universität Hohenheim bei Stuttgart zu großen Teilen auf den Ausbruch des Tambora und die dadurch auch in Baden-Württemberg ausgelösten Missernten und Hungerjahre zurückzuführen ist. Denn in der Not wurde damals neben dem »Landwirtschaftlichen Fest zu Kannstadt« – heute bekannt als Cannstatter Volksfest – auch eine landwirtschaftliche Unterrichtsanstalt geschaffen, aus der dann die Universität Hohenheim hervorging. Und genau an dieser Hochschule hatten wir uns kennengelernt. Ein ganz besonderer Berg für uns, entschieden wir.

 

 


Bilderstrecke Tambora#2: Eindrücke vom Aufstieg

 

Vierköpfiges Gipfelteam mit Gastgeber Masparno.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Schmaler Pfad an den tropischen tieferen Hängen des Tambora.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Höchst schmackhafter Proviant: Reis, Gemüse, Fisch, Hühnchen.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Nahaufnahme einer tropischer Brennessel.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Burhan an der Jalan Jelatang – dem Weg der Brennesseln.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Baumgrenze knapp über 2.000 Meter.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Blick über die Wolken zum Gunung Rinjani auf der Insel Lombok.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Nachtlager vor großer Naturkulisse.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Vor der Nachtruhe wird Tee über dem Lagerfeuer zubereitet.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Sonnenuntergang knapp oberhalb der Baumgrenze.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
 

 

 

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Am Ziel und doch erst Halbzeit 

 

Mit dem Klingeln des Weckers ertönt das ersehnte Signal, um etwas Verpflegung und die Kamera einzupacken. Der letzte Abschnitt konnte in Angriff genommen werden. Burhan bleibt derweil beim Lager, um es vor allzu neugierigen Wildschweinen zu schützen, die gegen leichte Beute im Sinne unserer Ausrüstung und Verpflegung sicher nichts einzuwenden hätten. Nur selten stellt uns die Dunkelheit in dieser sternenklaren Nacht entlang des relativ einfachen Pfades vor größere Herausforderungen. Ein Griff in das lange Gras sorgt im Falle kleinerer Strauchler für etwas Halt. Lediglich der zunehmend beißende Schwefeldampf macht uns zu schaffen. Die seismische Aktivität des Vulkans, welche durch eine Beobachtungsstelle kontinuierlich gemessen wird, nahm zuletzt auf geringem Niveau wieder zu.

 

Die westliche Gipfelregion erreichen wir kurz nach Sonnenaufgang. Mehrere hundert Meter von den Steilklippen des Kraters entfernt ist sie durch ein weitläufiges Plateau gekennzeichnet. Die Szenerie erinnert an Aufnahmen der Mondoberfläche und unsere einsamen Fußspuren im schwarzen Sand verstärken diesen Eindruck. In Anbetracht des bevorstehenden Höhepunkts der Reise steigt unsere Vorfreude, während der Blick zurück den scharf konturierten Schatten offenbart, den der Berg frühmorgens über weite Teile der Insel legt. Nur wenige Orte vermitteln solch eine Distanz zur realen Welt, die sich aus unserer Perspektive am ehesten noch als vage Andeutung vereinzelter Schifffahrtslinien im Meer zu erkennen gibt. Und uns wird wieder bewusst, dass hier oben im Umkreis vieler Kilometer keine Menschen anzutreffen sind und wir uns daher nicht den kleinsten unachtsamen Moment leisten dürfen.

 

Tambora-Berlin: Eigene Darstellung in Google Earth Pro; Visualisierung der Ausdehnung des Tambora im Verhältnis zum Bundesland Berlin (graue Grenzlinie); Innerer Ring: Krater mit 7 km Durchmesser; mittlerer Ring: ca. 25 km Durchmesser auf 1.000m üNN; äußerer Ring: Beginn der Ausläufer des Tambora auf ca. 100m üNN; Quelle: Matthias Stuhlinger

 

 

Wir setzen unseren Weg fort und klettern dabei durch einige wenige Meter tiefe Furchen, die den Untergrund durchziehen und von der einst starken Aktivität des Berges zeugen. Dann ist der Abbruch der Steilklippen zum mehr als einen Kilometer tiefer gelegenen Kraterboden zu erahnen. Mit weichen Knien bleiben wir kurz darauf in sicherem Abstand stehen und blicken in das unfassbar weite Rund der Tambora-Caldera. Die ersten Sonnenstrahlen offenbaren einen kleinen Kratersee, während vereinzelt Wolkenschleier durch die Tiefe ziehen und ein einzigartiges in sich geschlossenes Ökosystem vermuten lassen.

 

Kürzlich ist eine Forschergruppe unter hohem logistischem Aufwand bis zum Grund des Kraters vorgedrungen. Sie berichteten unter anderem von der auffällig hohen Aktivität des Doro Api Toi, einem jungen Vulkankegel, der sich im Innern neu auftürmt. An anderen Stellen im Krater siedeln sich besonders in der Nähe von Frischwasserquellen wieder Tiere und Pflanzen an.

 

Uns bietet sich von oben ein überwältigendes Panorama. Am nordöstlichen Horizont zeichnen sich sogar die Zwillingsgipfel des Gunung Api ab, dessen kleine Rauchsäule wir auf unserer Reise mehrfach erblickten. Überglücklich fallen wir uns in die Arme und beglückwünschen uns zur Erfüllung eines Traumes. Die kommenden drei Stunden verbringen wir mit der Besteigung der höchsten Erhebung der Caldera und der Erkundung der fremdartigen Umgebung.

 

In seinem Bericht von 1855 schrieb Zollinger, am Gipfel eine Flasche Portwein auf die Gesundheit des Generalgouverneurs von Niederländisch-Indien und des Fürsten von Sanggar getrunken zu haben. Die leere Flasche hinterließ er am Kraterrand und darin einen Zettel mit dem Datum der Besteigung und den Namen der Teilnehmer. Wir finden leider weder die Flasche noch haben wir selbst Wein dabei, um auf den Triumph gebührend anzustoßen – lediglich unser kaum genießbares Schwefelwasser, mit dem wir uns für den langen Rückweg »stärken«.

 

Zeichnung oben: vollständige Sumbawa Karte, unten: Tambora, Ausschnitt aus der Karte von Sumbawa (nach H.D.A. Smits). Aufgrund der damaligen Annahme Zollingers, dass der Berg zwei ähnliche Krater aufweist, hat er in der Karte zwei Krater angegeben. Die Karte ist im Anhang von Zollingers Expeditionsbericht, Besteigung des Vulkanes Tambora auf der Insel Sumbawa und Schilderung der Erupzion desselben im Jahr 1815. Winterthur: Wurster, 1855. ETH-Bibliothek Zürich, Rar 5880, Public Domain Mark

 

 

Im Tageslicht unseres Abstieges entdecken wir an den oberen Flanken sogar das seltene Java-Edelweiß, bevor wir in unserem aufgeräumten Lager ankommen und von da an wieder zu viert in das Zwielicht des Waldes eintauchen. Ein weiteres Mal würden wir die kleineren und größeren Prüfungen der Route bewältigen und erst zum Abendessen in das Gästehaus in der Kaffeeplantage zurückkehren, wo ein unvergesslicher Tag langsam ausklingen sollte.

 

Im Morgengrauen des folgenden Tages holen uns Burhan und zwei Freunde mit ihren Mopeds an der Unterkunft ab. Sie werden uns zur Küstensiedlung Calabai im Westen der Halbinsel bringen, wo am Anleger ein kleines Holzboot bereitsteht, das wir für eine Abkürzung über die Bucht von Saleh nach Sumbawa Besar gechartert haben. Die rasante, knapp einstündige Abfahrt vorbei an neugierigen Kühen am Wegesrand, Gruppen winkender Kinder in Schuluniformen und entlang eines bunten Straßenmarktes, bleibt uns als emotionaler Abschied von einer faszinierenden Region in Erinnerung. Auch Zollinger hob in seinem Bericht hervor, dass seine Tour auf den Tambora »einen der Lichtpunkte bildet, auf denen mein Geist mit innigstem Vergnügen weilt, und der mir mit unauslöschlichen Zügen ins Gedächtnis gegraben ist.«

 

Westflanke des Tambora und sein Schatten über dem Tiefland; Bildquelle: Matthias Stuhlinger

 

 


Bilderstrecke Tambora#3: Eindrücke vom Krater und vom Abstieg:

 

Westflanke des Tambora und sein Schatten über dem Tiefland.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Miriam und Matthias Stuhlinger vor dem Schatten des Tambora kurz vor der Caldera.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Kurz nach Sonnenaufgang liegt der Krater noch weitgehend im Schatten.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Respektvoller Abstand vor der Abbruchkante; links der Gipfel.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Entlang des westlichen Kraterrandes zum Gipfel.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Kleinere Kletterpartien entlang des Kraterrandes
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Am westlichen Kraterrand führt ein Pfad zum Gipfel.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Mondlandschaft auf dem westlichen Plateau nahe dem Gipfel.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Der kleine Kratersee des Tambora.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Java-Edelweiss am Wegesrand.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Bergführer Samsudin und Burhan haben bald Feierabend.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger
Rasante Abfahrt mit den Mopeds zur Küstensiedlung Calabai.
Bildquelle: Matthias Stuhlinger

 

 

 


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