Biodiversitätsforschung: Monitoring verbessern
Wissenschaftler widersprechen: Orang-Utan-Populationen haben nicht zugenommen
Nach Aussagen eines internationalen Forscherteams nehmen die Orang-Utan-Populationen nach wie vor rapide ab, auch wenn in einem Bericht der indonesischen Regierung anderes behauptet wird. Die Lage für die Menschenaffen habe sich nicht verbessert.
InMaOn / iDiv Halle-Jena-Leipzig
Borneo Orang-Utan. Ein internationales Forscher-Team fordert ein wissenschaftlich fundiertes Monitoring der Orang-Utan-Populationen; Bildquelle: Serge Wich
In der Fachzeitschrift Current Biology kritisiert ein Team von Wissenschaftlern, darunter Maria Voigt vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, dass ungeeignete Methoden verwendet worden seien, um die Orang-Utan-Populationen zu erfassen. Die Forscher fordern die konsequente Anwendung wissenschaftlich fundierter Methoden für ein zuverlässiges Monitoring der Menschenaffen. Denn nach wie vor nehmen die Orang-Utan-Populationen rapide ab, auch wenn die indonesische Regierung behauptet, die Lage für die Menschenaffen habe sich verbessert.
In dem veröffentlichten Bericht der indonesischen Regierung vom Juli 2018 The State of Indonesia´s Forest 2018 heißt es, die Orang-Utan-Populationen hätten im Zeitraum von 2015 bis 2017 um mehr als 10 % zugenommen. Diese Zahlen werden in der der Zeitschrift Current Biology vom November 2018 kritisiert. Co-Autor Erik Meijaard vom Center of Excellence for Environmental Decisions an der University of Queensland erklärt: »Diese Zahlen stehen in krassem Gegensatz zu anderen Studien über die Entwicklung der Orang-Utan-Populationen.«
Orang-Utan in Kalimantan. Lebensraumverlust und Wilderei sind die größten Gefahren für die Orang-Utans; Bildquelle Serge Wich
Laut den Autoren ist alleine in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der Borneo-Orang-Utans um mindestens 25 % zurückgegangen, was einem Verlust von über 100.000 Individuen seit 1999 entspricht. Die Zahlen gehen auf eine Studie zurück, die von den Wissenschaftlern bereits im Februar 2018 veröffentlicht wurde. Sumatra-Orang-Utans und der kürzlich beschriebene Tapanuli-Orang-Utan (Pongo tapanuliensis) haben zwischen 1985 und 2007 mehr als 60 % ihres Lebensraums verloren und es wird befürchtet, dass bis 2020 weitere 11–27 % der Orang-Utan-Bestände auf Sumatra verschwinden.
Die jüngsten Zahlen zeigen aus Sicht der Wissenschaftler, dass das Überleben der drei Orang-Utan-Arten nach wie vor ernsthaft durch Abholzung und Tötung gefährdet ist. Alle drei Arten werden auf der Roten Liste der IUCN (Weltnaturschutzunion) als »vom Aussterben bedroht« eingestuft.
Wie kommt es zu einer derartigen Diskrepanz zwischen dem, was die Regierung sagt und dem, was unabhängige Wissenschaftler über den Status der Orang-Utan-Populationen veröffentlicht haben? Aus Sicht der Autoren gibt es dafür mehrere Erklärungen: Das Monitoring der Regierung konzentriert sich stichprobenartig auf neun Populationen. Diese Populationen repräsentieren allerdings weniger als 5 % des Verbreitungsgebiets der Borneo- und Sumatra-Orang-Utans und 0 % des Verbreitungsgebiets des Tapanuli-Orang-Utans. Alle Beobachtungsflächen befinden sich innerhalb geschützter Gebiete, während die Mehrheit der Orang-Utans in nicht geschützten Gebieten wie Holzeinschlaggebieten, Palmölplantagen, Privatgärten und Gemeindeland lebten. Die Lebensraum-Bedingungen und Gefährdungen unterscheiden sich zwischen diesen enorm. Daher können die an wenigen geschützten Orten erhobenen Populationstrends keine zuverlässigen Informationen über den Status aller drei Spezies liefern. Die von der Regierung angegebenen Zuwächse sind auch extrem unwahrscheinlich angesichts der niedrigen Reproduktionsraten sowie der häufig beobachteten Tötungen.
Weiblicher Orang-Utan und Nachwuchs. Alle Populationen der Orang-Utans stehen laut IUCN (Weltnaturschutzunion) nach wie vor auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.
Hauptautorin Maria Voigt vom Forschungszentrum iDiv und dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie betont die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen Wissenschaftlern und den indonesischen Regierungsbehörden zu verbessern: »Die Regierung ist offenbar nicht ausreichend über die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse informiert«, erklärt Voigt. »Beide Seiten müssen stärker zusammenarbeiten.«
Laut Voigt ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen Regierung, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern besonders wichtig, weil Indonesien derzeit seinen neuen Aktionsplan zum Schutz der Orang-Utans erstellt. »Es müssen die besten Daten und Methoden genutzt werden, um die richtigen Maßnahmen wählen zu können«, erläutert Voigt. »Welches die besten Schutzmaßnahmen sind – ob Waldschutz, Strafverfolgung, Aufklärung, gesellschaftliches Engagement oder Rettungs- und Rehabilitationszentren für Orang-Utans – hängt von den Populationstrends, den Überlebensraten und den konkreten Bedrohungen der lokalen Orang-Utan-Bestände ab. Und hier kann sich die Wissenschaft einbringen.«
»Ich bin optimistisch«, sagt Co-Autor Erik Meijaard. »Ich glaube immer noch: wenn wir Wissenschaft, Politik, Landnutzung und Artenmanagement an einen Tisch bringen, können wir den Orang-Utan retten und sein Aussterben in der freien Wildbahn verhindern.«
Das neue Moratorium des indonesischen Präsidenten Jokowi auf Ölpalmenlizenzen könnte jene 10.000 Orang-Utans retten, die derzeit in Wäldern leben, wo demnächst Ölpalmen wachsen sollen. Das Moratorium soll diesen Gebieten einen permanenten Schutzstatus verleihen.
Allerdings erfordere dies, so die Wissenschaftler, ein neues Denken im Artenschutz: »Wir müssen lernen, wie wir die Populationen, die außerhalb offiziell geschützter Gebiete leben, besser schützen können«, so Maria Voigt. »Dafür brauchen wir eine echte Zusammenarbeit und das Engagement aller Parteien, die ein Interesse an diesen Gebieten haben: der Agrarindustrie, der lokalen Bevölkerung und der Kommunalpolitik.«
Ölpalm-Plantagen und Primärwald stehen sich kontrastreich gegenüber. Auf Borneo sieht sich der ursprüngliche Regenwald nach wie vor einem Verdrängungsprozess ausgesetzt; Quelle: Conservation Drones
Weiterführende Kontakte und Informationen:
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Maria Voigt | Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit und Komplexität der Lebensräume von Menschenaffen, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie E-Mail:
Veröffentlichung
Meijaard, E., J. Sherman, M. Ancrenaz, S. A. Wich, T. Santika, and M. Voigt. Orangutan populations are certainly not increasing in the wild; in: Current Biology | Volume 28, Issue 21, PR1241-R1242, Nov. 05, 2018 | Eine kurze Zusammenfassung unter summary
Ein ausführlicher Beitrag zum Thema auf der Plattform von Mongabay, eine der bekanntesten Seiten für Berichterstattung über Naturschutz und Umwelt: researchers-say-orangutans-are-declining-despite-indonesian-governments-claims (07.11.2018
Hinweise:
The State of Indonesia´s forest 2018 | Die Aussagen der Wissenschaftler beziehen sich auf die auf die Seite 101 ff. des Berichts The State of Indonesia´s forest 2018. Der Bericht wurde vom Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft der indonesischen Regierung (Kementerian Lingkungan Hidup dan Kehutanan) mit Unterstützung der Welternährungsorganisation (FAO / Food and Agriculture Organization of the United Nations) und der norwegischen internationalen Klima- und Waldinitiative (NICFI / Norway’s International Climate and Forest Initiative).
Hier können Sie die indonesischen Bericht The State of Indonesia´s forest 2018 herunterladen oder einfach online lesen: ppid-kementerian-lingkungan–hidup-dan-kehutanan
Einige frühere Beiträge zum Thema:
Dramatischer Rückgang von Orang-Utans auf Borneo (06.02.2018)
Ein Artikel von Maria Voigt und zwei Co-Autoren über den dramatischen Rückgang von Orang-Utans auf Borneo in The Conversation, eine unabhängigen Plattform für Nachrichten und Meinungen, die von Wissenschaftlern und Forschern stammen und direkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden: We surveyed Borneo’s orangutans and found 100,000 had ‘disappeared’ (15.02.2018)