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Biodiversität

Ein Schatz der besonderen Art:

Wie Biologen den Artenreichtum Indonesiens erforschen

 

Die immense Artenvielfalt des Inselstaates Indonesien fasziniert seit langem Wissenschaftler aus aller Welt. Was ist der Grund dafür und woran wird eigentlich geforscht?

von Kristina von Rintelen

Heuschrecke | entdeckt im Halimun-Nationalpark in West-Java; Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum f. Naturkunde (MfN) Berlin

 

 

Die Biodiversität Indonesiens

Die brasilianische Regenwaldregion am Amazonas kennt jeder, aber haben Sie gewusst, dass Indonesien ebenfalls zu einer der artenreichsten Gegenden der Erde zählt? In Fachkreisen zählt Indonesien zu den 17 megadiversen Ländern mit 2 der weltweit 25 sogenannten »Hotspots« der Biodiversität. Der indonesische Archipel beherbergt 10% aller Blütenpflanzen (über die Hälfte davon nur in Indonesien beheimatet), 12% aller Säugetiere (und nimmt damit den zweiten Platz nach Brasilien ein), 16% aller Reptilien, 17% aller Vogelarten und belegt den vierten Platz unter den Ländern mit den meisten Primaten (35 Arten). Das Korallendreieck, ein südostasiatisches Meeresgebiet, das auch einen Großteil Indonesiens umfasst, besitzt weltweit die größte marine Biodiversität. Laut dem WWF (World Wild Life) sind beispielsweise 76% aller Korallenarten nur dort zu finden.

 

Die Zahlen an sich mögen bereits beeindrucken. Unter Biologen ist jedoch unumstritten, dass bisher nur ein kleiner Prozentsatz der in Indonesien vorkommenden Artenvielfalt entdeckt und wissenschaftlich dokumentiert wurde. Viele Arten sind vom Aussterben bedroht und werden wohl von der Erde verschwunden sein, bevor sie jemals ein Wissenschaftler zu sehen bekommen hat. Das biologische Potential, das in den grünen Wäldern des Inselstaates und vor den Küsten im Meer schlummert, ist jedenfalls gewaltig.

 

Die grüne Lunge, Halimun-Nationalpark in West-Java; Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin

 

Die Entstehung der Artenvielfalt

Schon die frühen naturhistorischen Forschungsreisenden wertschätzten die biologische Vielfalt Indonesiens, zugleich erkannten sie die besondere Geographie und Geologie des Landes: Der englische Naturforscher Alfred Russel Wallace bereiste von 1854 bis 1862 den Malaiischen Archipel. Wie sein berühmter Zeitgenosse und Kollege Charles Darwin entwickelte er unabhängig eine bis dahin undenkbare Theorie zum Wandel der Arten – die Evolutionstheorie. Zugleich entdeckte er eine biogeographische Grenze zwischen der asiatischen Tierwelt westlich der Straße von Makassar/Sulawesi und der eher australisch geprägten östlich davon. Von 1893-1896 und 1902-1903 bereisten die Schweizer Naturforscher Fritz und Paul Sarasin die Insel Celebes, das heutige Sulawesi. Neben ihren umfangreichen zoologischen Sammlungen und Beobachtungen fiel ihnen schon damals die besondere geologische Form der Insel und besondere Verbreitungsmuster bestimmter Tiergruppen auf.

 

Die frühen Forscher waren aus heutiger Sicht mit ihren Schlussfolgerungen schon erstaunlich weit. Heute ist allgemein bekannt, dass die indonesische Tierwelt der ozeanisch entstandenen Inseln eine Sonderstellung zwischen der asiatischen und der australischen Tierwelt einnimmt. Diese Region wurde nach Alfred R. Wallace »Wallacea« benannt. Ihre Inseln hatten niemals eine Landverbindung zum Sunda- oder Sahulschelf, den an die Wallacea angrenzenden und teils zu Indonesien gehörenden Kontinentalschelfen.

 

Die Wallacea ist nicht nur durch biologische, sondern auch durch geologische Besonderheiten geprägt, die bis zum heutigen Tag nicht gänzlich erforscht werden konnten. Die ungewöhnliche K-Form der Insel Sulawesi entstand beispielsweise aus verschiedenen driftenden Landmassen, die aus unterschiedlichen Richtungen zusammenstießen. Ob diese jedoch ganz oder nur teilweise untergetaucht waren und so eventuell als Transportflösse für landlebende Organismen dienten, kann nur vermutet werden.

 

Kartenausschnitt mit Verweis auf die durch biologischen und geographisch-geologische Besonderheiten geprägte »Wallacea«; Bildquelle: Thomas von Rintelen | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Biologen sind sich heutzutage jedoch einig, dass sich aufgrund der geographisch-geologischen Besonderheiten der Wallacea eine Vielzahl an ungewöhnlichen Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen entwickeln konnten. Ihr Vorkommen ist zudem oft auf ein kleinräumiges Gebiet beschränkt, d.h. sie sind dort endemisch. Ein bekanntes Beispiel ist der nur auf der Insel Sulawesi vorkommende Hirscheber (Babirusa). Diese ungewöhnlich aussehende Gattung aus der Familie der Schweine ist teilweise auch als Besonderheit in zoologischen Gärten zu finden.

 

Babirusa oder Hirscheber, Schweineart die nur auf Sulawesi beheimatet ist; der Name Babirusa setzt sich aus den indonesischen Wörtern babi (schwein) und rusa (Hirsch) zusammen; Bildquelle: Thomas von Rintelen | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin

 


 

»Fachkreise«:zitiert werden hier veröffentlichte Zahlen auf der Internetseite der Convention on Biological Diversity

biogeographische Grenze: heute bekannt als die nach ihm benannte »Wallace-Linie«

 

 

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Die aktuelle Forschung

Biogeographen befassen sich mit der geographischen Verbreitung und Herkunft von Arten in Indonesien. Einige der heutigen Fragestellungen lauten beispielsweise: Wie konnten sich einzelne Arten auf den vom Festland isolierten Inseln entwickeln, woher kamen sie ursprünglich und wo leb(t)en ihre nächsten Verwandten? Biogeographische Fragestellungen zur Wallacea werden oft auch zusammen mit Geologen und Paläontologen diskutiert, wobei es durchaus konträre Meinungen gibt. Es gibt ebenfalls die Möglichkeit der Altersdatierung bestimmter Stammeslinien, wobei Fossilien wie versteinerte Knochen oder Schneckenschalen eine wichtige Rolle spielen können.

 

Als Nachfolger von Darwin und Wallace befassen sich Evolutionsbiologen mit der Entstehung und Entwicklung von Arten. Dieser Prozess ist in Indonesien, und besonders innerhalb der Wallacea, ebenfalls sehr komplex. Die Ergebnisse weichen je nach untersuchter Organismengruppe stark ab: So haben auf der Insel Sulawesi beispielsweise Süßwasserschnecken der Gattung Tylomelania und Süßwassergarnelen der Gattung Caridina jeweils Vorfahren aus unterschiedlichen geographischen Richtungen (Schnecken in Australien, Garnelen in Südostasien), durchliefen jedoch auf der Insel ähnliche evolutionäre Entwicklungen und ähnliche ökologische Anpassungen.

 

Süßwassergarnelen der Gattung Caridina | Vorkommen ausschließlich in den Malili-Seen Sulawesis
Bildquelle: Chris Lukhaup
Süßwasserschnecken der Gattung Tylomelania | Vorkommen ausschließlich in den Malili-Seen Sulawesis
Bildquelle: Chris Lukhaup
Süßwasserschnecken der Gattung Tylomelania | Vorkommen ausschließlich in den Malili-Seen Sulawesis
Bildquelle: Chris Lukhaup
Eine auf Schnecken spezialisierte Krabbe der Gattung Syntripsa | Vorkommen ausschließlich in den Malili-Seen Sulawesis
Bildquelle: Chris Lukhaup

 

 

Biodiversitätsforscher und Taxonomen befassen sich mit der Artenvielfalt per se. Sie stellen Fragen nach der Anzahl der Arten, welche unverkennbaren Merkmale diese auszeichnen oder wie diese miteinander verwandt sind. Taxonomen beschreiben Arten nach wissenschaftlichen Standards, klassifizieren sie und geben ihnen wissenschaftliche Namen, z.B. Babyrousa celebensis, die oben bereits erwähnte auf Sulawesi lebende Schweineart. Für diese Forschungsrichtung ist Indonesien ein wahres Paradies. Ein besonders spektakulärer Fund war der Fang des Quastenflossers vor der Küste Sulawesis. Dieses lebende Fossil wurde 1997 per Zufall von Biologen auf einem Fischmarkt in Nord-Sulawesi entdeckt. Besonders unter Insekten werden bei Expeditionen auch heute noch unzählige neue Arten entdeckt. Dies gilt übrigens auch für teils jahrhundertealte Sammlungsbestände aus Indonesien, die weltweit in den Naturkundemuseen lagern. In den staubig anmutenden Trocken- und Alkoholsammlungen wurde so manche überraschende Entdeckung gemacht.

 

Die Übergänge zu anderen biologischen Disziplinen wie der Ökologie, der Verhaltensbiologie oder der Genetik sind dabei oft fließend. Mithilfe der Genetik lassen sich sowohl Stammbaumanalysen durchführen als auch kleinräumige, innerartliche Populationsstudien. Ein Großteil der hier vorgestellten Ansätze sind Beispiele aus der klassischen Grundlagenforschung, deren Hauptziel – neben dem reinen Erkenntnisgewinn – die wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse in international anerkannten Fachzeitschriften ist. Ebenso interessant sind Forschungsansätze, die einen eher angewandten Aspekt verfolgen und eng mit der Wirtschaft verknüpft sind. In diesem Zusammenhang ist besonders die Biotechnologie zu nennen. Zwischen Indonesien und Deutschland besteht bereits seit Ende der 1980er Jahre eine enge Zusammenarbeit in diesem Bereich.

 

Das Indobiosys-Projekt - ein Forschungsbeispiel aus West-Java

 

Ein aktuelles interdisziplinäres Forschungsprojekt am Berliner Naturkundemuseum in Kooperation mit dem indonesischen Forschungsinstitut LIPI (Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia) schafft eine Schnittstelle zwischen klassischer Biodiversitätsforschung und der Gesundheitsforschung durch Biotechnologie, Pharmazie und Medizin.

 

Weitab der ausgetretenen Touristenpfade schlägt sich eine Gruppe internationaler Wissenschaftler durch das dichtbewaldete Unterholz des Gunung Halimun Salak Nationalparks in West-Java. Sie sind nicht auf der Suche nach kuscheligen Säugetieren oder anmutigen Vögeln, sondern suchen mit Spezialausrüstung den Boden und die Vegetation nach kleinen Krabbeltieren ab. Die Zielgruppe sind wirbellose Tiere wie Insekten, Tausendfüßler oder Spinnen, die im Englischen auch gerne als Creepy-Crawlies bezeichnet werden und nicht unbedingt oben auf der Beliebtheitsskala stehen. Dennoch sind sie für die Biologen von unschätzbarem Wert. Sie suchen nach einer Möglichkeit, den Artenreichtum möglichst effizient zu erfassen und zu dokumentieren. Die Methodik reicht von der Aufsammlung im Feld, über die digitalisierte Dokumentation bis hin zur Veröffentlichung über ein allgemein zugängliches Online-Portal.

 

Taxonom auf der Suche nach Tausendfüßlern | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Typische Utensilien eines Taxonomen | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Taxonomen bei der Arbeit am Mikroskop | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Jede Probe wird mit einem QR Code versehen | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Verborgene Schätze im indonesischen Regenwald | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Ein Hirschkäfer | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Eine Ausbeute an Motten | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Eine Motte aus einem anderen Blickwinkel | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Lichtfang, abends kommen die Motten ans Kunstlicht | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Eine Singazikade | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Wanzen sind aufgrund ihrer Abwehrstoffe interessant | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Eine Seidenspinne | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Auch die Baumkronen werden besammelt | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Auch Fliegen können schön sein | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Biodiversitätserfassung im digitalen Zeitalter | Halimun-Nationalpark in West-Java
Bildquelle: Bernhard Schurian | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin
Logo Indobiosys-Projekt
Grafik:Sonja Kreft | | Museum für Naturkunde (MfN) Berlin

 

 

Das Projekt dient nicht nur als Übersicht bereits bekannter, sondern ermöglicht auch die Entdeckung vieler neuer Arten. Gleichzeitig wird nach einer Möglichkeit gesucht, die reichlich vorhandene Ressource der Artenvielfalt nachhaltig zu nutzen. Als Schnittstelle zur Gesundheitsforschung soll Indobiosys Tiergruppen identifizieren, die potentiell antiinfektive Substanzen produzieren, z.B. in Abwehrsekreten vieler Insekten. Gerade in Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenzen kann dies neue Daten liefern, bei welchen natürlich vorkommenden Substanzen in indonesischen Organismen sich ein näherer Blick für biotechnologische und pharmazeutische Forschung lohnt. Auf lange Sicht könnte Biodiversität so dazu beitragen, neue Medikamente gegen Infektionskrankheiten zu entwickeln. Parallelprojekte zu Indobiosys, das sich auf die indonesische Fauna fokussiert, verfolgen das gleiche Ziel mit Hilfe von Pflanzen, Mikroorganismen oder dem relativ neuen Feld der Insektenbiotechnologie. Alle diese Forschungsvorhaben werden für drei Jahre durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

 

  

 

Projekt-Logos, Quelle: MfN Berlin und BMBF

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