Antonia Schwingel: Erfahrungen im javanischenTanztheater
»Die Theatersprache ist eben eine Universalsprache«
Antonia Schwingels Rolle als deutsche Erzählerin im javanischen Tanztheater »Wayang Orang« war ein besonderes Bühnen-Experiment. Erfahren Sie im Gespräch der Musicaldarstellerin mit Birgit Lattenkamp, mehr über ihre neuen Eindrücke, die Zusammenarbeit mit dem indonesischen Team und die Bedeutung von Theatersprache.
Ein Interview von Birgit Lattenkamp / BL
Antonia Schwingel als deutsche Erzählerin in der Wayang Orang-Aufführung »Kresna Duta – Kresna als Botschafter«; Quelle: Foto ♦ Bettina David / Organisation ♦ Yayasan Paramarta Karya Budaya
Lässt sich das Publikum in Deutschland für eine Geschichte aus einem über 3000 Jahre alten indischen Heldenepos und zugleich religiösen Werk begeistern? Dargeboten in der Tradition des javanischen Tanztheaters Wayang Orang, dessen Anfänge bis ins 10 Jahundert zurück reichen? _ Gesprochen – wie sollte es anders sein – in der verbreitetsten Regionalsprache Indonesiens, dem Javanischen?
Prasti Rahmadi Pomarius‘ Vision, das Wayang Orang, als Teil des UNESCO Kulturerbes, mit einer Episode aus dem hinduistischen Mahabharata-Epos auf deutsche Bühnen zu bringen klingt nach einem gewagten Experiment.
Doch mit viel Energie und Überzeugungskraft machten sich die in Norddeutschland lebende Indonesierin und ihre 2018 gegründete Kulturstiftung Paramarta Karya Budaya für die Realisierung dieses Projektes stark und konnten nach und nach weitere Mitstreiter und auch Sponsoren finden.
Am 2. September 2019 war es schließlich so weit, das Tanztheater Wayang Orang mit seinem Stück »Kresna Duta – Kresna als Botschafter« feierte in Hamburgs Neue Flora Deutschlandpremiere. Die Rolle der deutschen Erzählerin übernahm die Musicaldarstellerin Antonia Schwingel. Der tosende Applaus am Ende der Aufführung zeigte, sie war zu einem der heimlichen Stars des Abends geworden. Ihre grandiose Darstellung ermöglichte den Zuschauern das Eintauchen in die Handlung und den vollkommenen Genuss von visuellen und auditiven Eindrücken. Ob sie sich im Vorfeld bewusst gewesen war, welch tragende Rolle sie im Hinblick auf das Gelingen dieses Experiments spielen würde? Einführung von Birgit Lattenkamp
Die drei Wayang Orang Aufführungen in Hamburg, Hannover und Bremen liegen noch nicht lange zurück und die Eindrücke und gesammelten Erfahrungen sind sicherlich noch ganz frisch und präsent. Was fällt dir spontan ein, wenn Du an die Aufführungen und vielleicht auch an die Zeit der Vorbereitung denkst?
Antonia Schwingel: Ja, ich würde sagen, das alles war wirklich spannend. Für mich war die Vorbereitungszeit sehr kurz. Die ganze Arbeit lief sehr sehr entspannt ab – also auf indonesischer Seite. Ich dagegen hatte eher das Gefühl, um Gottes Willen, wie schaffe ich das nur, den ganzen Text zu lernen. Den endgültigen Text bekam ich ungefähr eine Woche vor Aufführungsbeginn. Dieser war letztendlich aber doch keine Endfassung. Denn bei den Proben gab es jeden Tag spontane Änderungen, da wurden Textstellen verschoben und schnell noch Neue geschrieben. Dann packte der nette Herr Undung, der für das Skript verantwortlich war, seinen Laptop aus, und schrieb etwas auf Javanisch, gab es der Übersetzerin Martina Heinschke und diese übertrug das dann schnell ins Deutsche. Jedes Mal, wenn sie nach Hause ging, dachte sie sicherlich, so, jetzt haben wir es geschafft. Ich glaube, das war sowohl für sie als für mich etwas anstrengend. Letztendlich war am Freitag die letzte Fassung fertig. Und am Montag darauf fand die erste Aufführung statt. Das ging gerade noch, aber es war alles in allem sehr spannend, weil ich auch nicht wusste, ob und wie es funktionieren würde. Die erste Vorstellung in Hamburg, in der Neuen Flora, sollte um 19 Uhr beginnen. Für mich als Deutsche war das eine feste Zeitvorgabe und so stand ich kurz vor 19 Uhr an der Seitenbühne und habe gewartet. Dann hörte ich, genau wie das Publikum, die Ansage, dass es sich um eine Stunde verzögern wird und habe gar nicht verstanden warum. Also wirklich nicht. Wir waren ja alle bereit. Letztendlich hatte man wohl noch auf einen wichtigen Gast gewartet.
Wie ist die Zusammenarbeit mit dem javanischen Tanztheater zustande gekommen?
Schwingel: Die Zusammenarbeit kam durch Herrmann Sattler, einen Freund meiner Mutter, zustande. Meine Eltern kommen vom Theater, sind beide Sänger. Dort hat meine Mutter früher mit Herrmann zusammengearbeitet. Mittlerweile lebt er auf Bali, ist immer noch in der Theaterwelt aktiv und schreibt auch seine eigenen Stücke. Prasti, die hier vor Ort alles managte, hatte wohl Kontakt zu Herrmann und ihm berichtet, dass man nach einer deutschen Erzählerin suche. Er meinte dann, er kenne da jemanden in Hamburg und das sei auch genau ihr Job. Prasti hat mir dann am selben Tag noch geschrieben. Wir haben uns verabredet, getroffen und danach war ich mit an Bord.
Und sie hatte Dir dann erst einmal berichtet, worum es überhaupt geht. Warst Du von Anfang an davon überzeugt, dass das Wayang Orang auf deutsche Bühnen gehört?
Schwingel: Prasti hatte mir, glaube ich, schon bevor wir uns getroffen haben ein Video einer Wayang Orang Aufführung geschickt. Das habe ich mir angeschaut und gedacht, ok, ja, das ist interessant. Das war für mich tatsächlich etwas ganz Neues.
Hattest Du tatsächlich noch gar nichts in der Art vorher gesehen oder gehört? Kanntest Du vielleicht schon Gamelanmusik oder hattest ein Bild von indonesischen Tänzern und Tänzerinnen vor Augen mit ihrer ganz speziellen Art sich zu bewegen?
Schwingel: Das einzige, was mir tatsächlich bekannt vorkam, waren einige der Tanzbewegungen. Viele der eckigen, sehr abstrakten Bewegungen erinnerten mich an den Modern Dance Unterricht an der Musicalschule. Und das fand ich auch sehr cool. Also das, was ich an Tänzen auf dem Video gesehen habe, fand ich wirklich faszinierend. Sprachlich konnte ich natürlich nichts verstehen und an die Musik musste ich mich erst einmal gewöhnen. Letztendlich gefiel sie mir aber sehr gut.
Nach diesem ersten Eindruck dachte ich mir, ok ich höre mir mal an, was Prasti über das Stück und das Projekt erzählen kann. Bei unserem Treffen hat sie mir die Handlung dann genau erklärt. Danach konnte ich mir tatsächlich gut vorstellen, an dem Stück mitzuwirken. Denn ich denke, die Geschichten aus dem Mahabharata sind letztendlich Dramen. Und diese kommen beim Publikum immer gut an. So verhält es sich ja auch mit den griechischen Göttersagen. Und im Endeffekt haben wir es hier auch mit einer Art Sage zu tun. Also das Thema fand ich durchaus passend für deutsche Bühnen.
Stimmt, gewisse Grundelemente gibt es in allen Dramen. Auch der Kampf von Gut gegen Böse ist ein Klassiker.
Schwingel: Genau, und deswegen konnte ich mir das durchaus vorstellen. Wie die konkrete Zusammenarbeit dann ablaufen sollte, davon hatte ich allerdings noch keine Vorstellung.
Gab es von deiner Seite denn überhaupt schon Berührungspunkte zu indonesischen Kulturen oder war das tatsächlich der erste Einblick?
Schwingel: Das war tatsächlich der erste Einblick. Der einzige Berührungpunkt mit Indonesien war über den Freund meiner Mutter, der nach Bali ausgewandert ist. Meine Mutter hat ihn schon häufiger dort besucht. Leider habe ich es bislang nie geschafft, sie zu begleiten. Mal kam eine Schulshow dazwischen. Mal die Arbeit. Ich arbeite meistens, wenn andere Ferien haben. Daher kenne ich Indonesien bisher nur durch die Bilder meiner Mutter. Aber mittlerweile bin ich sehr neugierig geworden und möchte unbedingt nach Indonesien reisen. Ich hoffe, dass das irgendwann klappen wird.
Wie hast Du dir die Rolle der Erzählerin erarbeitet? Durftest Du diese aktiv mit entwickeln? War zum Beispiel von Beginn an klar, dass Du nicht nur eine Stimme im Hintergrund (aus dem Off) sein würdest, sondern als wichtiger Bestandteil in das Stück integriert bist?
Schwingel: Das war mir am Anfang tatsächlich nicht klar. Nach dem ersten Gespräch war sogar noch nicht einmal sicher, wer ich denn nun sein sollte. Es gab lange Zeit die Diskussion, ob ich als ein Charakter in das Stück eingebunden werde oder ob ich ein bisschen über allem stehe, fast schon als Göttin. So wie ein allwissender Erzähler. Ich denke, am Ende ist es eine Mischung aus beidem geworden. Ich war schon in die Handlung integriert und habe Anteil an dem Geschehen genommen und auch eine klare Position bezogen, zu wem ich stehe. Also ich denke, das hat man bemerkt. Dementsprechend gab es keine genaue Erklärung, wer ich bin. Meine Rolle hatte keinen Namen und keine Biografie, aber ich habe sie für mich persönlich interpretiert, indem ich mich als eine Beobachterin gesehen habe, die außen vorsteht, vielleicht eine Adlige oder eine Form des Göttlichen, die aber schon sehr von den Ereignissen ergriffen ist. Die den Krieg mit ansehen muss und gerne Frieden möchte und darauf appelliert, dass so etwas nicht noch einmal passieren darf.
Man spürte tatsächlich, dass Du jemanden verkörperst. Und ich denke, genau deswegen hat das Ganze so gut funktioniert.
Schwingel: Ja, das denke ich auch. Anders hätte es nicht so gut funktioniert. Denn ich muss gestehen, am Anfang hatte ich mich sehr schwer mit dem Text getan, weil er einfach sehr weit entfernt von dem war, was ich sonst so spreche. Normalerweise schlüpfe ich in eine Rolle. Im Winter werde ich in der Schneekönigin die Gerda spielen. Ich weiß, wie alt ich bin, woher ich komme, was meine Probleme sind, was ich erreichen will.
Das hatte ich hier nicht. Auch die Art, wie der Text geschrieben war, war ganz anders. Manche Stellen habe ich ein wenig anpassen müssen und etwas freier gestaltet, damit sie mehr zu der Art passen wie ich etwas ausdrücken würde. Ich denke, das hat geholfen. Ich habe wenig verändert, aber eben ein bisschen und das durfte ich auch. Aber ansonsten habe ich tatsächlich nie gesagt, nein, das finde ich nicht gut oder das müsste man anders machen. Ich habe im Endeffekt das gemacht, was sie von mir wollten und es eben für mich interpretiert. Martina, die Übersetzerin, hat da eher mal in den Text eingegriffen, wenn es darum ging, dass Textpassagen für das deutsche Publikum unverständlich gewesen wären. Ich konnte mich natürlich nicht so einfach ausdrücken. Es musste immer jemand für mich übersetzen. Außerdem habe ich gelernt, dass es als Darstellerin nicht meine Aufgabe ist, dem Regisseur oder Choreographen zu sagen, was er zu tun und lassen hat, sondern ich mache, was man mir sagt. Da komme ich auch nicht so ganz aus meiner Haut raus. Und es hat ja gut funktioniert.
Lief denn die gesamte Kommunikation über einen Dolmetscher oder konnten manche der Darsteller auch Englisch?
Schwingel: Ein paar Darsteller konnten Englisch. Mit diesen habe ich mich dann auch mehr unterhalten. Der Regisseur konnte weder Englisch noch Deutsch. Aber ich muss sagen, dass vieles auch einfach über eine gewisse Bühnensprache funktioniert hat. Der Regisseur konnte mir sehr gut vermitteln, was er von mir wollte. Mehr oder weniger Ausdruck, mehr Betroffenheit, dass ich irgendwo stehenbleiben oder langsamer gehen soll. Das hat alles relativ gut nonverbal funtkioniert. Er hat es in seiner Sprache formuliert, ich habe in meiner Sprache darauf reagiert. Und wenn es wirklich mal darum ging, dass er mir ein Feedback geben wollte, dann hat er jemanden hinzugezogen, der Deutsch oder Englisch sprach und gebeten es mir mitzuteilen. Und wenn ich wichtige Fragen hatte, habe ich es genauso gemacht.
Die graziöse Art, in der Du Dich auf der Bühne bewegt hast, erinnerte an die Tanzschritte und - bewegungen der Tänzerinnen. Du hast diese nicht genau ausgeführt, aber doch angedeutet. Stammte diese Idee vom Regisseur oder hast Du Dir das etwas bei den Proben abgeschaut?
Schwingel: Das kam nicht direkt von ihm. Am Montag, an dem die Proben anfingen, bin ich nach Bremen gereist, um den Teil der Crew zu treffen, der sich wegen der Wayang Orang Workshops bereits in Deutschland aufhielt. Da gab es eine ulkige Situation. In der Hotellobby brachten mir die Darsteller von Arjuna und Karna ein paar Tanzbewegungen bei. Die beiden waren wirklich super und haben mir sehr viel geholfen. Sie haben mir zum Beispiel gezeigt, wie ich mithilfe der Bewegungen und sogar der Schärpe meines Sarongs Gefühle wie Trauer und Wut ausdrücken kann.
Ich glaube, der Regisseur war ganz begeistert, dass ich das so schnell gelernt habe. Ich sollte mir dann selbst eine kleine Choreographie überlegen. Ich habe auch etwas gemacht, allerdings wollte ich nicht wirklich in Richtung Tanz gehen und mir nicht anmaßen, innerhalb einer Woche so gut tanzen zu können wie die professionellen Tänzerinnen aus Indonesien. Aus Gesprächen habe ich mitbekommen, dass manche von Kindesbeinen an tanzen und aus Familien stammen, in denen diese Kunst von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Ich denke, da hast Du die richtige Balance gefunden.
Schwingel: Ja, im Endeffekt war es auch das, was der Regisseur und Choreograph von mir erwarteten. Ich sollte gut in das Stück passen und nicht einfach nur da stehen und erzählen. Das wäre sicherlich todlangweilig gewesen. Es freut mich sehr, wenn das beim Prublikum auch so angekommen ist.
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Als Übersetzerin möchte ich doch nochmal auf den Austausch mit der Übersetzerin Martina Heinschke zurückkommen. Wie intensiv hat dieser stattgefunden? Sie hatte die verantwortungsvolle Aufgabe den Erzähltext aus dem Javanischen ins Deutsche zu übertragen. Da das Stück ansonsten aber komplett in javanischer Sprache aufgeführt wurde, konnten sich die Zuschauer den Inhalt der einzelnen Szenen nur mithilfe dieser hinführenden Texte erschließen.
Schwingel: Wir haben uns schon darüber unterhalten und ein bisschen ausgetauscht. Aber im Endeeffekt habe ich ihr da sehr vertraut. Ich konnte ja überhaupt nicht verstehen wie es im Javanischen ausgedrückt wurde. Und die sprachlichen Bilder und Metaphern sollten wenn möglich auch im Deutschen erhalten bleiben und das hätte ich gar nicht gekonnt. Wir haben uns darüber unterhalten, welche Informationen für das Publikum wichtig wären. Da es sich bei dem Stück letztendlich lediglich um einen kleinen Ausschnitt aus dem Mahabharata handelte, hatte das Stück ursprünglich gar kein Ende. Das war für mich unverständlich und mir fehlte irgendwo eine Erklärung zum Ausgang der Geschichte. Deshalb habe ich Martina darauf angesprochen. Daraufhin hat sie mit dem Regisseur geredet, dass es für das Publikum wichtig wäre in irgendeiner Form ein Ende zu haben. Schließlich hat Herr Undung tatsächlich noch ein erklärendes Ende formuliert. Es hat also eine Art Dreieckskommunikation stattgefunden.
Wie hast Du die Zusammenarbeit mit dem Wayang Orang-Team empfungen. Und wie unterscheidet sich die Arbeitsweise von der in Produktionen, an denen Du bisher beteiligt warst?
Schwingel (lacht): Da muss ich ein bisschen schmunzeln. Es hat sich vor allen Dingen dadurch unterschieden, dass alles viel, viel lockerer war. Für unsere Verhältnisse war die Arbeits- und Vorgehensweise oft recht spontan. Auf der einen Seite wurde mit einer Entspanntheit an das Ganze herangegangen, auf der anderen Seite war die Arbeit sehr intensiv. So haben wir z.B. vor jeder Vorstellung noch einmal das ganze Stück geprobt und sind wirklich jede Bühne, jeden Weg bis ins kleinste Detail durchgegangen. Und das ist wiederum etwas, das man in Deutschland so nicht macht. Hier wird einmal geprobt und dann muss man das Stück auf jeder Bühne spielen können – egal unter welchen Bedingungen.
Ansonsten sind deutsche Produktionen in den meisten Fällen sehr durchstruktiert. Es gibt einen Grundplan, in dem steht genau, um wieviel Uhr meine Probenzeit beginnt und wann sie endet. Es ist genau festgelegt, wann welche Szene geprobt wird. Dann gibt es noch die musikalische Probe, die alleinige Übungszeit des Orchesters. Die Mittagspause. Alles ist genau durchgeplant. In der Praxis kann sich das natürlich auch mal verschieben. Auch für die Proben unseres Kresna Duta-Stückes existierte solch ein Plan, aber...(schmunzeln) nur in der Theorie.
Und das war zu Beginn der Proben mein Problem. Wir Deutschen sind ja sehr pünktlich. Also war ich am ersten Tag schon eine viertel Stunde früher startklar und musste feststellen, dass es nach dem vereinbarten Zeitpunkt doch eine gute halbe bis dreiviertel Stunde dauerte bis die anderen Darsteller nach und nach eingetrudelt waren, ihren Kaffee getrunken, ihre Zigarette geraucht hatten. So lief es an den anderen Tagen auch. Dann wurde ein bisschen geprobt. Danach gab es schon wieder Mittagessen. Also das habe ich auch gelernt. Es ist wichtig ganz entspannt und in Ruhe zu essen. Danach verdaut man noch bei einer Tasse Kaffee oder Tee. Und dann kann es richtig los gehen.
Ja und mein Lieblingstag war wirklich der Donnerstag, an dem wir auf die Ankunft der noch fehlenden Crew-Mitglieder gewartet haben. Am Vormittag hatten wir ein bisschen geprobt, Postionen auf der Bühne usw.. Danach war ca. 2-3 Stunden Leerlauf. Ich setzte mich ein wenig raus. Andere taten das Gleiche und sprachen über Facetime mit ihren Familien in der Heimat oder gingen einkaufen. Als ich wieder in den Probenraum zurückkehrte, hörte ich ein Schnarchen. Tatsächlich lagen die Musiker zwischen ihren Gamelaninstrumenten und schliefen. Und eigentlich lagen überall schlafende Team-Mitglieder. Auf dem Sofa und sogar unter dem Tisch. Also so etwas gäbe es in Deutschland sicherlich nicht. Ich habe mir dann vorgestellt, wie in Deutschland das Orchester im Orchestergraben liegt und schnarcht. Und das war irgendwo der Moment, als ich dachte, ok, das ist so strange, dass es einfach schon wieder cool ist.
Aber auf der Bühne merkte man davon nichts. Da gaben alle Beteiligten 100 Prozent und wirkten sehr diszipliniert.
Schwingel: Stimmt, und das fand ich sehr faszinierend. Auf der einen Seite waren sie unfassbar diszipliniert, wenn es an die Arbeit ging. Auf der anderen Seite dann so locker. Teilweise haben die Darsteller noch kurz bevor sie auf die Bühne sprangen Späße gemacht. Dann setzten sie plötzlich ihr Pokerface auf und waren voll in der Rolle drin. Also das ist tatsächlich etwas, das ich sehr bewundere, weil ich das nicht so gut kann. Ich muss vorher wirklich in mich gehen, abschalten und dann kann ich rausgehen.
Konntest Du etwas für Dich – ob privat oder beruflich – aus dieser Arbeit mitnehmen?
Schwingel: Ja, definitiv. In Bremen saßen wir zum Beispiel am Tag vor der Vorstellung einen ganzen Tag lang im Theater und haben nichts gemacht, weil einfach nichts so funktionierte wie es sollte. Und an dem Tag habe ich auf einmal gemerkt, wie entspannt ich plötzlich war. Es hat mich nichts mehr überrascht. Ich habe mir meinen Laptop geschnappt, mich nach draußen gesetzt und ein bisschen gearbeitet. Dem Team sagte ich, dass sie mir einfach Bescheid geben sollen, wenn sie mich brauchen. Das werde ich tatsächlich ein wenig für zukünftige Jobs für mich mitnehmen. Häufig stresst man sich viel zu sehr. Dabei funktioniert es doch auch mit weniger Druck.
Außerdem fand ich sehr schön, wie freundlich alle miteinander umgegangen sind. Also das kenne ich auch anders. Wenn Regisseure Torschlusspanik bekommen, können sie recht ungehalten werden. Natürlich meinen sie das nicht böse, aber so ein Stück ist ja irgendwo ihr Baby. Aber das gab es hier gar nicht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass da mal irgendwer auf irgendwen böse war. Lief etwas nicht so wie es sollte, wurde das in Ruhe besprochen und dann war auch alles wieder in Ordnung. Das empfand ich als sehr angenehm. Es herrschte ein freundlicher, lockerer Umgangston. Überhaupt wünschte ich mir hier in Deutschland manchmal mehr von dieser Freundlichkeit, Offenheit und Lebensfreude, die die Indonesier sehr stark auf mich ausgestrahlt haben.
Und was ich auch noch aus der Zusammenarbeit für mich migenommen habe, ist, egal wieviel 1000 Kilometer wir auseinander leben, wir sind alle Künstler, machen alle den gleichen Job und sind gleich verrückt.
In Deutschland lernen Tänzer zum Beispiel, dass sie immer bis 8 zählen sollen. Man kann in jeglicher Form, in jedem Rhythmus bis 8 zählen. Man kann eine Betonung auf die Zahlen ausdrücken, langsamer werden, in sich gehen. Ich habe die indonesischen Tänzer gefragt, ob sie denn auch bis 8 zählen. Und sie antworteten, natürlich zählten sie bis 8. Die Theatersprache ist eben eine Universalsprache. Das hat mir auch wieder gezeigt, zwar sind unsere Kulturen und Lebensweisen unterschiedlich, aber im Endeffekt sind wir alle doch irgendwie gleich. Wir können uns verständigen, und sei es mit Händen und Füßen oder Mimik. Das ist so eine Sache, die häufig vergessen wird. Das fand ich einfach sehr schön, das nochmal so zu erfahren.
Das waren ja eigentlich schon die perfekten Schlussworte. Gerade in Zeiten, in denen so viel Hass zwischen den Kulturen gesät wird und der Rassismus wieder aufflammt. Eigentlich verbindet uns doch mehr als uns trennt.
Zum Ende aber doch noch die Frage, könntest Du Dir vorstellen bei zukünftigen Wayang Orang- Aufführungen wieder mitzuwirken?
Schwingel: Auf jeden Fall. Zum einen würde ich mich sehr freuen einige aus dem Team wiederzusehen, zum anderen weiß ich ja nun auch wie das Ganze läuft. Ich glaube, auch für die indonesische Seite ist es sicherlich schön zu wissen, da haben wir jemanden, mit dem verstehen wir uns und mit dem funktioniert die Zusammenarbeit. Also ich würde mich sehr freuen, wenn man mich bei zukünftigen Projekten wieder anfragen würde.
Antonia Schwingel | begann ihre Ausbildung zur Musicaldarstellerin 2014 an der Stage Art Musical School in Hamburg. Bereits vor der Ausbildung war sie als Solistin auf zahlreichen Konzerten in NRW unterwegs und durchquerte als Gesangsduo InToNation Deutschland. Sie spielte in der konzertanten Aufführung von West Side Story die Maria und coverte in Porgy&Bess die Clara.
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Einige visuelle Eindrücke der Wayang Orang-Aufführung »Kresna Duta – Kresna als Botschafter«, die Anfang September 2019 in Norddeutschland zu sehen war. Mit Gamelan-Musik und javanischem Tanz wurde eine Episode aus dem weltberühmten Epos Mahabharata auf die Bühne gebracht. Neben dem Ensemble aus Jakarta, mit Musikern und berühmten Tänzerinnen und Tänzern, sorgte die deutsche Erzählerin Antonia Schwingel dafür, dass die Gäste der Handlung folgen konnten: