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»Starke Frauen« 

Indonesiens Schriftstellerinnen zwischen säkularer und religiöser Literatur - drei wichtige Vertreterinnen

 

Indonesien ist das viert-bevölkerungsreichste Land der Welt mit einer bunten und facettenreichen Kultur, auch in Bezug auf seine Schriftstellerinnen. Einige wichtige werden hier vorgestellt.

 von Yvonne Michalik

»Starke Frauen« der indonesischen Literaturszene; Collage/Bilder: Jörg Huhmann

 


 

Seit dem Sturz des Diktators Suharto im Jahr 1998 haben vor allem Frauen die literarische Szene in Indonesien zunehmend erobert. Die Schriftstellerinnen lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen: der säkularen und der islamischen Literatur. Für die säkulare Ausrichtung werden häufig Termini wie Sastrawangi (Duftliteratur), Chick-lit oder Teen-lit verwendet.

 

Diesen Schriftstellerinnen wird vorgeworfen, mit provokanten Themen die eigene Popularität zu steigern und sich bereichern zu wollen. Die Autorinnen werden in der Öffentlichkeit häufig sehr persönlich angegriffen und erleben das Label »Duftliteratur« als diskriminierend.

 

Die Vertreterinnen der islamischen Literatur müssen sich dagegen den Vorwurf der Missionierung ohne bedeutsame literarische Qualität gefallen lassen. Schilderungen über freien Sex und Homosexualität empfinden sie als amoralisch und verteidigen in ihren Erzählungen die Regeln des Koran. Sie weisen aber auch darauf hin, dass der Koran legitime Regelungen zu Polygamie, Behandlung der Frauen und Geschlechtergerechtigkeit enthalte, die häufig nur nicht korrekt umgesetzt würden. Doch wer sind hier wichtige Schriftstellerinnen der beiden Stilrichtungen?

 

Ayu Utami in Berlin; Bildquelle: Jörg Huhmann

 

 

Offenheit für gesellschaftliche Tabus

 

Ayu Utami, 1968 in West Java geboren, gehört zu Indonesiens bekanntester Autorin der säkularen Gruppe. Ihren ersten Roman Saman hat Ayu Utami 1998 kurz vor der Entmachtung Suhartos publiziert. Saman war eine literarische und politische Sensation und wurde in Indonesien bis heute mehr als 100.000 Mal verkauft und in mehrere Sprachen übersetzt, darunter auch ins Deutsche. Der Buchtitel steht für die Hauptfigur des Romans. Saman ist ein katholischer Priester aus Sumatra, der über sein Engagement für unterdrückte Kleinbauern zum indonesischen Widerstand stößt, vom Regime verschleppt und gefoltert, sein Priesteramt aufgibt und mit Hilfe vier junger Frauen nach New York emigriert. Die Frauen verweigern sich den traditionellen Rollenzuweisungen in dem sie offen über ihre sexuellen Bedürfnisse reden. Ihre Geschichten sind ein loses Netz, das die eigentliche Geschichte, die Geschichte Samans, beschreibt.

 

Die Schriftstellerin Utami wagt sich in ihrem ersten Roman in bis dahin ungekannt offener Art und Weise an Tabuthemen wie Sexualität und politische Gewalt. Sie schreibt über Folter, über Konflikte zwischen Muslimen und Christen, über den Umgang mit der chinesischen Minderheit.

 

Ayu Utami hat für Saman viel Anerkennung aber auch Kritik erfahren – nicht nur für ihre literarischen Themen, sondern auch für ihre Biographie, vor allem für ihren journalistischen und politischen Hintergrund. Ayu Utamis Familie gehört zu der katholischen Minderheit im islamischen Java, der Vater war Anwalt, die Mutter Lehrerin. 1990 gewinnt sie als Studentin einen Schönheitswettbewerb. Doch die junge Frau entscheidet sich gegen eine Model-Laufbahn und für eine journalistische Karriere. Und sie schreibt – zunächst anonym – über Korruption im Suharto- Regime. Als Suharto drei Nachrichtenmagazine verbieten lässt, ist sie direkt davon betroffen. In einem Interview aus dem Jahre 2015 beschreibt sie das so: »Nach einer Protestaktion gegen die Zensur der Regierung bin ich entlassen worden und stand auf einer schwarzen Liste. Weil ich als Journalistin nicht mehr arbeiten durfte, habe ich meinen ersten Roman geschrieben.« Zusammen mit anderen Publizisten kauft sie später ein heruntergekommenes Haus und trotzt der Diktatur mit der Alliance of Independent Journalists.

 

Auch heute arbeitet Ayu Utami noch journalistisch und ist politisch aktiv. 2008 schreibt sie das vielbeachtete Theaterstück Sidang Susila und das Buch Pengadilan Susila (Susila's Trial) gegen das geplante Anti Pornographie Gesetz. Öffentlich hat sie immer wieder verkündet, aus Protest gegen die Ehegesetze und die patriarchalische Kultur nicht heiraten zu wollen. Dem katholischen Glauben und der katholischen Ehe stand sie daher lange Zeit sehr ablehnend gegenüber. Ihre Sichtweise hat sich jedoch gewandelt. Sie begründet das so: »Ich habe mich entschlossen zu heiraten, als ich nach eingehender Prüfung des katholischen Eherechts festgestellt habe, dass es darin keine Passage gibt, dass der Mann über die Frau bestimmt, (...) aber auch vor dem Hintergrund der Angriffe auf die christliche Minderheit in Indonesien.

 

 

Djenar Maesa Ayu, Bildquelle: Adimodel

 

 

»Schreiben ist ein Geschenk für mich«

 

Die 1973 in Jakarta geborene Djenar Maesa Ayu gehört ebenfalls zu den Schriftstellerinnen der säkularen Literatur. Sie ist die Tochter des muslimischen Regisseurs Sjumandjaja und der katholischen Schauspielerin Tuti Kirana. Als Kind hat sie ihren Eltern viele Briefe geschrieben, um so deren häufige Abwesenheit besser verarbeiten zu können. Es hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. »Das sei wohl ein Grund dafür, dass ich kein „verbaler“ Mensch geworden ist. Schreiben ist nicht nur das, was ich liebe, es ist auch das, was ich brauche. Schreiben ist ein Geschenk für mich.« Wie auch andere Vertreterinnen der sogenannten »Duftliteratur« (Sastrawangi) wird Djenar Maesa Ayu heftig kritisiert und öffentlich als Frau von zweifelhafter Moral angegriffen. Derartige Ansichten kontert sie selbstbewusst: »Ich kann mit Kritik gut leben, schließlich erfährt jeder Leser die Literatur subjektiv. Aber viele Menschen haben meine Bücher noch nicht einmal gelesen, sondern plappern lediglich nach, dass ich mit vielen Männern geschlafen hätte, um meine Karriere voranzutreiben.« Letztlich bedeuten solche Anfeindungen aber eine noch stärke Motivation für sie, weiter über tabuisierte Themen zu schreiben.

 

Ihre Kurzgeschichte Gestillt vom Vater (Menyusu Ayah) wurde wegen des provokativen Inhalts sehr kontrovers diskutiert und als pornografisch kritisiert. Gleichzeitig erhielt die Autorin mehrere Preise, da sie hier die Problematik des Kindermissbrauchs innerhalb der Familie zum öffentlichen Thema macht. Die fiktive Ich-Erzählerin Nayla schildert in der Geschichte mit schockierender Freizügigkeit ihren Weg vom ungewollten Fötus bis zu ihrer eigenen ungewollten Schwangerschaft als junges Mädchen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realismus, zwischen freiwilliger Prostitution und Kindesmissbrauch, zwischen sexueller Fantasie und Leid eines Sexualopfers verschwimmen.

 

Djenar Maesa Ayu lebt und arbeitet für indonesische Verhältnisse äußerst unkonventionell: vom Vater ihrer Kinder geschieden, schreibt die Autorin vorzugsweise in einem Café. Während früher ihr Ehemann die Familie versorgt hat, ist das Schreiben heute für sie schwieriger. »Die Bedürfnisse meiner Kinder und Enkelkinder richten sich nicht nach den Zeiten meiner Inspiration«, sagt sie. »Trotzdem habe ich meinen Entschluss, mich für die Familie zu entscheiden, nie bereut.« Heute lebt und arbeitet Djenar Maesa Ayu in Jakarta.

 

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Helvy Tiana Rosa; Bildquelle: mit freundlicher Genehmigung von Helvy Tiana Rosa

 

Islamische Werte gegen Gewalt

 

Für Schriftstellerinnen wie Helvy Tiana Rosa sind all die Vorstellungen und Gedanken der Vertreterinnen einer säkularen Richtung nicht zu akzeptieren. Helvy Tiana Rosa ist eine sehr prominente und produktive Vertreterin der islamischen Literatur und damit stellvertretend für eine stark im muslimischen Glauben verankerte Generation Indonesiens. Die in Nord-Sumatra, in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsene Schriftstellerin, hat bisher mehr als 30 Bücher veröffentlicht, darunter auch viele Gedichtbände. Sie gründete 1990 das Frauentheater Teater bening und unterrichtet indonesische Literatur an der Nationalen Islamischen Universität in Jakarta. In Indonesien wird sie vor allem wegen ihrer Arbeit für das FLP (Forum Lingkar Pena / Forum Schrifstellerkreis) geschätzt. Die Organisation hat mehr als 4000 Mitglieder, unterstützt Schriftsteller und hilft vor allem sozial schwachen Frauen sich schriftlich zu äußern.

 

Helvy Tiana Rosas Literatur befasst sich vor allem mit Themen wie Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit und moralische Verantwortung. So spielt z.B. ihre Kurzgeschichte Das rote Netz (Jaring-jaring Merah) in der Provinz Aceh während der Gewaltexzesse Ende der 90er Jahre. Die auf Tatschen beruhende Geschichte, bezieht sich auf die sich während der blutigen Militäroperationen in der Suharto-Zeit. Für ihre Recherche hat die Autorin Daten von der Menschenrechtsorganisation Kontras gesammelt und verwertet. Sie greift Themen der Authentizität, Repräsentation und Macht auf und verbindet sie mit feministischen und islamischen Werten. Beide sind untrennbar in einer Vielzahl von ästhetischen Formen und Erzählstrukturen miteinander verflochten. Aus der Perspektive der traumatisierten Inong erfährt die Leserschaft von den Grausamkeiten des indonesischen Militärs. Einzig und allein die muslimische Aktivistin Cut Dini kümmert sich um die verwirrte Inong, deren Familie bei den Massakern ums Leben kam. Mit dieser Geschichte tritt Helvy Tiana Rosa für die Opfer der Gewalt ein, und vermittelt zugleich die Botschaft, dass es Aufgabe des Islam sei, sich für eine bessere Welt zu engagieren. Der Name der tragischen Romanfigur Inong ist zugleich das acehische Wort für »Frau« - eine symbolträchtige Verbindung: Inong steht hier gleichsam für alle unterdrückten acehischen Frauen.

 

Im Jahr 2009 wurde Helvy Tiana Rosa in einer Umfrage des indonesischen Fernsehsenders Metro TV zu den 10 populärsten Schriftstellerinnen in Indonesien gekürt. Ihr Blog ist laut Forschungsergebnisse des Royal Islamic Strategic Studies Centre einer der 500 einflussreichsten Blogs in der muslimischen Welt. Heute lebt und arbeitet Helvy Tiana Rosa in Jakarta, wo sie an ihrer Promotion auf dem Gebiet der Sprachausbildung an der Staatlichen Universität in Jakarta (Universitas Negeri Jakarta) arbeitet.

 

Die soziopolitische Kraft der beiden literarischen Richtungen

 

Säkulare Autorinnen wie Ayu Utami und Djenar Maesa Ayu schreiben offen über bisher tabuisierte Themen wie Sex, Missbrauch und Gewalt und werden dafür öffentlich kritisiert, aber auch mit Preisen ausgezeichnet. Schriftstellerinnen wie Helvy Tiana Rosa verteidigen dagegen islamische Moralvorstellungen und diskutieren über Ethik und Gerechtigkeit, Religion und Spiritualität. Auch wenn sich die beiden literarischen Gruppen dieser neuen Generation von Schriftstellerinnen inhaltlich sehr unterscheiden, so spiegeln diese Frauen die religiöse und ethnische Vielfalt Indonesiens sehr deutlich wider. Sie sind nicht nur Schriftstellerinnen, sondern als öffentliche Personen eine wichtige soziopolitische Kraft des Landes, die es auch international zu vertreten gilt.

 

»Die Zukunft des indonesischen Romans liegt in den Händen von Frauen.« So kommentierte schon der Dichter und Literaturprofessor Sapardi Djoko Damono die Tatsache, dass die Gewinner prestigeträchtiger Literaturpreise fast ausschließlich Frauen sind.

 

Als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse 2015 geladen, präsentierte sich Indonesien in Deutschland erstmals mit einer größeren Anzahl an Autorinnen verschiedener Stilrichtungen. Dadurch bot sich eine einmalige Chance, diese »feminine« Literaturszene - die sehr vielfältig und lebendig ist – einem breiten Publikum vorzustellen.

Kategorie: Kultur